Ihrer Zeit hinterher: Mit Studiengebühren ist kein Staat zu machen

Einmal mehr hat DIE ZEIT ein Plädoyer für Studiengebühren veröffentlicht. Der Artikel von Thomas Kerstan überrascht durchaus nicht, ist es doch nicht sein erster Beitrag, der dem Bezahlstudium das Wort redet. Gestattet sei mir an dieser Stelle das Wortspiel, dass Deutschlands wichtigste Wochenzeitung ihrer ZEIT diesmal wohl hinterher ist, haben doch alle Bundesländer die zwischenzeitlich erhobenen Gebühren wieder abgeschafft.

Dabei werden die Argumente, die Kerstan und alle anderen Apologeten der Campus-Maut immer wieder vortragen, durch ihre ständige Wiederkehr nicht besser. Es sei eine Gerechtigkeitsfrage, die Profiteure eines Hochschulstudiums angemessen zu beteiligen: Zumeist studierten schließlich die Sprösslinge der Oberschicht, zulasten von Putzfrau und Polier, die dafür ihre Steuergroschen berappen müssten. Außerdem brauche das Hochschulsystem dringend Geld  und  wenn man es technisch richtig mache, würde eine Gebührenpflicht schon niemanden vom Studium abhalten. Meine ehemalige Kommilitonin Caterina Lobenstein, die 2006 in Marburg mit gegen die Gebühren protestiert hat und inzwischen selbst ZEIT-Redakteurin ist, hat im vergangenen Jahr hierzu kurz und knapp wichtiges entgegnet.

Ein wenig mehr gesellschaftlicher Weitblick könnte man aber auch von der ZEIT erwarten: Letztlich zielt  das Thema Studiengebühren nämlich auf die Frage, was eine Gesellschaft sich als Kernaufgaben leisten will und was nicht. Ein funktionierender Rechtsstaat zur Durchsetzung von Recht und Ordnung gehört mit Sicherheit für alle zu diesen Kernaufgaben dazu, ebenso wie beispielsweise der Betrieb öffentlicher Infrastruktur. Wir leisten uns diese Dinge (ebenso wie Theater, öffentliche Krankenhäuser oder das Schulsystem), weil sie essenzielle Errungenschaften, ja Bedingungen für das Funktionieren einer Gesellschaft darstellen. Und hierzu muss auch die Hochschulbildung gehören!

Ganz grundsätzlich: Der gesellschaftliche Anspruch sollte sein, jedem Mitglied der Gesellschaft seinen Talenten, Wünschen und Leistungen entsprechend den bestmöglichen Bildungsweg zu ermöglichen. Denn nur so wird gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme gewährleistet – das, was das Gemeinwesen zusammenhält. Wenn sich die Gesellschaft auf diesen Anspruch und dieses Ziel einigt, und dann natürlich auch darauf, die Kosten hierfür über das Steuersystem bereitzustellen, hat sie gewonnen, denn der Nutzen der Teilhabe überwiegt den materiellen Aufwand – sowohl moralisch als auch ökonomisch.

Studiengebühren verfolgen ein anderes Gesellschafts- und auch Gerechtigkeitsmodell. Es ist das Modell des "jeder ist allein seines Glückes Schmied", welches den Partikularismus befördert und  auf den persönlichen Profit des Individuums fokussiert. Der Nutzen für die Gemeinschaft wird ausgeblendet. Daher darf bezweifelt werden, dass das Gemeinwesen insgesamt von diesem Modell profitiert.

Die Politik ist diesmal der ZEIT voraus: Egal, aus welchen Gründen – sie hat begriffen, dass mit Studiengebühren kein Staat zu machen ist. Vielleicht begreift es Herr Kerstan auch irgendwann. 

Längere Tische, weniger Zäune – Flüchtlinge willkommen!

Angesichts der Debatte über die Flüchtlingsthematik und insbesondere der Bemerkungen diverser CSU-Granden sehe mich veranlasst, einmal kurz aus meiner Blog-Lethargie auszubrechen und ein paar Worte zur Lage zu verlieren.

Markus Söder, bayerischer Finanzminister, noch besser bekannt als Hochleistungs-Dampfplauderer, warnt heute: "Wenn in diesem Jahr mehr Menschen zuwandern, als hier geboren werden, wirkt sich das auf die kulturelle Statik einer Gesellschaft aus." Was hier so bedenkenträgerisch daherkommt, ist für mich einmal mehr eine wohlverpackte Warnung vor dem Untergang des christlichen Abendlandes, ganz im Duktus der Debatten zu Leitkultur oder Überfremdung. Das pflichtgemäße Lob aus aller Munde für das übergroße Engagement breiter Bevölkerungsschichten für die Unterstützung der Flüchtlinge, welches auch Söder zu Protokoll gibt, wird mit einer solchen Äußerung vollkommen konterkariert: "Schön, dass ihr helft, aber eigentlich ist’s ein Schmarrn, was ihr macht – weil’s unserer Kultur zum Schaden gereicht".

Und Horst Seehofer fällt nichts besseres ein, als dem ungarischem Ministerpräsidenten Orban die Hand zu reichen für die Erörterung gemeinsamer Lösungen. Seehofer hat sich ja kürzlich im Sommer-Interview des ZDF hinlänglich selbst zum Thema disqualifiziert – insofern sind fehlgehende Äußerungen seinerseits keine Überraschung – ebensowenig wie bei Söder. Aber Orban? Warum lädt er nicht gleich noch die Französin Marine Le Pen oder führende Vertreter der dänischen Volkspartei ein!? Der Chef der christlich-sozialen (sic!) Union stellt sich mit der Einladung von "Europas wohl umstrittenstem Staatschef" (so der Deutschlandfunk) ganz weit rechts und damit vollkommen abseitig einer ernstzunehmenden Debatte über die Bewältigung der in der Tat großen Herausforderungen. Gerade angesichts der im Parteinamen geführten Eigenschaften ("christlich – sozial") sollte man, wäre man nicht ohnehin nicht gänzlich anderes gewöhnt, von Vertretern der CSU doch eigentlich erwarten, dass sie der Kanzlerin beispringen, wenn sie sich so besonnen zur Thematik äußert wie neulich auf die Frage nach der drohenden Islamisierung Deutschlands. Ich stimme Frau Merkel selten zu, aber hier hat sie meine volle Unterstützung, wenn sie sagt, dass (a) uns doch niemand daran hindert, uns zu unserer Religion zu bekennen und auf dieser Basis in einen Dialog mit anderen Religionen zu treten und dass (b) die Europäer angesichts ihrer Geschichte überhaupt keinen Grund haben zu größerem Hochmut gegenüber anderen Kulturen. Und wenn Angela Merkel sagt, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kenne, dann gebührt ihr auch dafür Beifall.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel geht noch einen Schritt weiter, was ich begrüße: Man könne die Flüchtlinge auch als Chance begreifen! Doch nicht nur beim Fachkräftemangel (den der Wirtschaftsminister qua Amt betonen muss) mag der Flüchtlingszustrom als Chance begriffen werden. Er führt uns auch vor Augen, dass wir nicht abgekoppelt sind von den Krisen, die fernab in fremden Weltregionen um sich greifen, sondern dass auch wir Teil einer Welt sind und dass wir häufig gar maßgeblich Verantwortung tragen für die Auslöser von Flucht und Vertreibung! Nutzen wir die Chance, uns dessen bewusst zu werden und ernsthaft nachhaltige Lösungen der Probleme anzugehen.

Und den Herren Seehofer, Friedrich und Söder aus dem wohlhabenden, erfolgreichen Freistaat Bayern sei einmal mehr entgegengehalten, was auf Twitter und facebook dieser Tage gottlob so häufig zu lesen ist:

"Wenn Du mehr hast, als Du brauchst, baue einen längeren Tisch. Keinen höheren Zaun."

#RefugeesWelcome

Ein deutsches Harvard taugt nicht als Ziel

Einmal mehr beklagte der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe kürzlich das Fehlen deutscher Spitzen-Universitäten nach dem Vorbilde der US-Eliteschmieden Harvard, Stanford und Berkeley oder der britischen Oxbridge-Counterparts. Erst auf Platz 49 des bekannten Shanghai-Rankings tauche mit Heidelberg eine deutsche Alma mater auf, das Gros der hiesigen Universitäten tummle sich weit hinten in der internationalen Rangliste. Das Mittel zur Abhilfe hat Joffe auch gleich ausgemacht: Studiengebühren. Zu Unrecht verteufelt seien sie nicht als Belastung, sondern als Zukunftsinvestition zu begreifen, und nur mit ihnen könne Deutschland aufschließen zur internationalen Exzellenz-Liga.

Geflissentlich vergessen wird von Joffe und all denen, die ohne Unterlass vom deutschen Harvard oder Oxford schwärmen, der Blick auf größere Ganze – das Bildungssystem, auch im Kontext der Gesellschaft insgesamt. Die oben genannten Elite-Universitäten der Vereinigten Staaten und Englands sind ohne Zweifel herausragend in Forschung und Lehre. Doch eine ernsthafte Debatte zur Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems muss den Blick auch und vor allem auf die Landschaft richten, aus der die Leuchttürme herausragen! Zugespitzt: Während der amerikanische und britische Leuchtturmwärter (aka Hochschulrektor) von hochdroben in den Abgrund schaut auf eine wüste Ebene, blicken die Präsidenten der besten deutschen Unis zwar von etwas niedrigerer Warte, doch dafür auf ein Hochplateau in Gestalt eines deutlich breiteren Fundaments recht solider Bildungseinrichtungen (von Gesamtschulen und Gymnasien über Fachhochschulen bis zu zahlreichen sehr ordentlich arbeitenden Universitäten). Und aus diesem Hochplateau ragen viele höchst erfolgreiche und engagierte Forscher und Hochschullehrer hervor. Deren Förderung ist im Sinne des wissenschaftlichen Fortschritts und einer besseren Lehre deutlich nachhaltiger als das prestigegesteuerte Aufpumpen einzelner Großeinrichtungen.

Das soll nicht heißen, dass das deutsche Wissenschaftssystem keiner Reformen bedarf. Es wird gelähmt von chronischer Unterfinanzierung, antiquierten hierarchischen Strukturen und der Perspektivlosigkeit des Nachwuchses. Diese Defizite sind auch Hemmschuhe für den wissenschaftlichen Erfolg: So wird ein schlauer Kopf, der nicht weiß, ob er in einem halben Jahr noch die Miete zahlen kann, kaum Spitzenforschung leisten können. Und ein Mitarbeiter, der von Lehrpflichten erdrückt wird, während die akademischen Rechte nur dem Chef zustehen, wird sich auch nicht vor Motivation überschlagen. Doch diese und andere Probleme zu beheben wird mitnichten gelingen, wenn die Spitze künstlich aufgeblasen wird auf Kosten des Niveaus in der Breite. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine bessere Basis produziert auch – mit sinnvoller Förderung und attraktiven Anreizen – mehr Top-Leistungen. Das deutsche Harvard ist nicht mehr als ein griffiges Bild – als Ziel taugt es nicht.

An die Wurzeln! Zur Reform des deutschen Wissenschaftssystems

Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß fordert die Reform des deutschen Wissenschaftssystems. Doch seine radikal anmutenden Vorschläge greifen in letzter Konsequenz zu kurz, solange sie die Ursache der Krise weder benennen noch in Frage stellen: die in ihrer Hierarchie zementierte Struktur des akademischen Systems.

 

Blick auf den Campus der Frankfurter Goethe-Universität

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Burgerliches im Surfcafé

Bei frischem Wind am Nordstrand von Norderney lockt das Surfcafé den fröstelnden Besucher hinters Glas seiner Fensterfronten. Kuschelkissen, Feuerchen im Windlicht und wohltemperierte Musik im Hintergrund empfangen den Einkehrenden mit wohliger Wärme.

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Zurück

Ich bin zurück. Einerseits auf dieser Seite, die ich einmal mehr für lange Zeit habe verweisen lassen. Andererseits, und das steht hiermit in quasi direktem Zusammenhang, aus dem Urlaub, der mich für ein paar Tage an die deutsche Küste führte, genauer gesagt nach Norderney. Den frischen Wind um den Kopf wehen lassen, lesen, fotografieren, entspannen – das war der Plan. Für die Tatsache, dass fast kein Wind wehte und wenn, dann allenfalls als zarte Brise aus Südost, entschädigte mich eine herrlich strahlende und gar wärmende Novembersonne. Die Zeit zur Besinnung führte ferner zu meinem Entschluss, das Schreiben wieder zu beginnen. Arg vernachlässigt habe ich dieses Hobby in den vergangenen Monaten, ja fast schon Jahren, und schon länger vermisse ich die gewissermaßen verschriftlichte Befriedigung meines Mitteilungsbedürfnisses.

Seit den Phasen meines aktiven Blogschreibens hat sich in der Welt des Online-Publizierens freilich viel getan: Facebook ist fast schon ein alter Hut, und E-Mails fallen beinah in die selbe antiquarische Kategorie wie Omas Wählscheiben-Telefon. Wer nicht twittert, hat den Trend verpennt; ganz im Sinne des frühen Zwitscherers, der ja bekanntlich den Wurm fängt.

Nun denn, woran sich nichts ändern soll, ist die Art und Weise meines Schreibens – es erscheint weiterhin als Blog. Marketingtechnisch flankiert werden die Beiträge in Zukunft auch in Zukunft via Facebook und nun natürlich auch per Tweet im Zwitscherdienst, wo mir unter dem Namen vogelwart79 gefolgt werden kann. Allen, die die englische Sprache und einen engeren Fokus auf mein mehr oder minder professionelles Tun  (also u.a. ökologische Wissenschaft, Klimawandel, Naturschutz) bevorzugen, seien auf meinen Account redkite79 hingewiesen. Wer nichts verpassen will, mag beiden folgen!

Neuerungen soll es indessen bei Länge und Frequenz meiner Beiträge geben. Das Gros der Texte will ich in Zukunft kürzer als bisher halten, was hoffentlich dazu führt, dass hier häufiger Neues zu finden ist zu Themen aus Wissenschaft, Politik, Kultur, Reisen und Vermischtem. Ein Beitrag in der Woche soll das Ziel sein. Zu ambitioniert? Sei’s drum – man wächst mit seinen Aufgaben. Und eine neue Kategorie soll’s geben: Kulinarik. Berichte zu Restaurants und Wein, Kocherfahrungen und leckeren Schmankerln aller Art.

Alsdann, der Ankündigungen sind genug getan. Ich bin gespannt auf Eure Rückmeldungen. Und darauf, wie lange meine Ambitionen andauern…

Wir haben die Wahl

Ein Plädoyer für Richtung, Haltung und eine solidarische Gesellschaft

Am kommenden Sonntag ist auch diese Wahl vorbei. Oder besser gesagt diese Wahlen – schließlich wird sowohl bundesweit als auch in Hessen gewählt, wo ich seit bald zweieinhalb Jahren wahlberechtigt bin. Und zum ersten Mal war dies auch mein Wahlkampf: Flyer verteilen, Hausbesuche, Infostände – für meine Partei, für Landtags– und für Bundestagskandidaten. Was mir statt simpler Parteipolitik hier, kurz vor dem Öffnen der Wahllokale aber am Herzen liegt, sind einige grundsätzliche Gedanken dazu, wie dieses Land in Zukunft regiert werden sollte.

Weniger Verwaltung, mehr Haltung!

Es gibt zwei ganz klare Alternativen in dieser Bundestags- und auch in der hessischen Landtagswahl. Entweder ein "Weiter so!" der Konzept-, Ideen- und Richtungslosigkeit, oder aber ein Neustart mit klaren Vorschlägen und Ideen. Freilich geht es mir auch um die Inhalte – mehr Bildungsinvestitionen, Mindestlohn, eine ernsthafte Energiewende sind nur drei Beispiele für ebensolche Inhalte, die aber ganz abgesehen von der konkreten Ausgestaltung ein gemeinsames Ziel eint: eine besseres, gerechteres Gemeinwesen, über Generationen hinweg. Für dieses Ziel werben die drei Oppositionsparteien in verschiedenen Nuancierungen. Der Regierung aus CDU, CSU und FDP werfe ich einerseits vor, dass sie angesichts von Pauschalzahlen (BIP, Exporte, Beschäftigtenzahlen) Deutschland schönredet und über viele himmelschreiende Probleme vieler Menschen ignorant hinwegsieht. Das geht vom Pflege- über den Bildungsnotstand bis hin zur Kinder- und (vielfach drohenden) Altersarmut, um nur wenige Beispiele zu nennen. Doch vor allem haben Merkel, Bouffier und Co. keinen Kompass, kein Konzept, wo das Land und seine Bevölkerung hin soll. Da geht es, Peer Steinbrück hat ganz recht, im Schlafwagen im Kreisverkehr. Das Kanzlerinnen-Argument für ihre Wiederwahl, "Sie kennen mich", im Fernsehduell spricht Bände, ebenso wie Brüderles Hinweis "Wer Merkel will, wählt auch FDP!". Welch Armutszeugnis. Wir brauchen Richtung, wir brauchen Klartext. Nein, da geht es nicht um "Basta", sondern um konkrete Vorschläge, an denen sich die politischen Mitbewerber abarbeiten können und die das Ringen um die richtigen Entscheidungen ermöglichen. Und das ist dann letztendlich auch eine Frage von Haltung! Weniger Verwaltung, weniger Aussitzen – das ist nur möglich mit einer anderen Regierung.

Mehr Wir, weniger Ich!

"Wenn jeder an sich denkt, ist doch an alle gedacht." So geht das Hohelied der Partikularinteressen. Es ist aber nur sehr begrenzt richtig, denn wo die Stärkeren ihre Interessen skrupellos durchsetzen – sei es durch demokratische Mehrheitsfindung oder durch Ellenbogen-Lobbyismus – sind die Schwächeren die Gelackmeierten. Die deutsche Politik der vergangenen vier Jahre ist eine des Stillstands, und wo sich doch ein Rädchen drehte, dann für Interessen einiger Weniger zum Nachteil Vieler. Nur ein Beispiel: Statt versprochener großer Reform für ein einfacheres und gerechteres Steuersystem gab es eine Partikularsteuersenkung für Hoteliers. Herzlichen Glückwunsch, Familie Mövenpick! Natürlich verstehe verstehe ich jeden, der an seine eigene Zukunft denkt und hofft, dass politische Entscheidungen ihm nicht zum Nachteil gereichen. Aber wo soll es denn hingehen mit einer Gesellschaft, in der nur nach der eigenen Befindlichkeit, nach der eigenen Kassenlage gewählt wird!? Klar, auch ich finde ich es zunächst ärgerlich, wenn eine Gehaltserhöhung zu mehr als 60% durch die sogenannte kalte Progression aufgefressen wird. Aber sollte man dann nicht einen Moment lang innehalten und sich fragen, ob es einem nicht trotzdem noch immer gut geht, und womöglich sogar ein wenig besser als vorher? Die vom Regierungslager betriebene Verteufelung der von SPD, Grünen und Linke vorgeschlagenen Steuererhöhungen passt genau in dieses Bild. Also mal ernsthaft: Wenn ich im Monat 6900 Euro brutto verdienen würde, würde mir da eine Mehrbelastung von 102 Euro pro Jahr, also von 8,50 Euro im Monat was ausmachen? Nein, würde es nicht. Und schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass dieses Geld für gesamtgesellschaftlich wichtige Dinge investiert werden soll, von denen auch die Gutverdienenden wiederum profitieren würden, z.B. von Bildungsinvestitionen, von besserer Infrastruktur, von einer ordentlichen Energiewende oder vom Schuldenabbau. Wir brauchen mehr Gemeinwohl, weniger Individualismus. Kurz: Mehr Wir, weniger Ich!

Wir haben die Wahl: Einerseits eine aussitzende, abwartende, machterhaltende Kanzlerin, die nicht im Traum daran denkt, von der Richtlinienkompetenz, die ihr das Grundgesetz gewährt, Gebrauch zu machen; dazu ein überflüssiger, gar peinlicher Rest einer einst stolzen liberalen Partei sowie eine CSU, die Lokalpopulismen über gesamtdeutsche Interessen zu stellen pflegt. Andererseits ein derzeit in der Opposition befindliches Angebot aus guten Konzepten und Ideen für eine solidarische Gesellschaft. Ich habe meine Wahl schon getroffen. Und Sie?

Prinzipienlos, ziellos, wertlos

Ob das Prism-Thema – immerhin der wohl größte Spionage-Skandal zumindest seit ich denken kann, wenn nicht sogar überhaupt – wirklich für Wahlkampf taugt, wird sich zeigen. Jedenfalls offenbart es exemplarisch das größte Defizit der Bundeskanzlerin und damit der derzeitigen Regierung: Die organisierte Prinzipienlosigkeit.

Peer Steinbrück zitiert gerne den ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Verteidigungsminister Peter Struck (der leider nicht mehr unter den Lebenden weilt). Letzterer sagte einmal sinngemäß über Frau Merkel, er fliege zwar gerne mit ihr in einem Flugzeug, wenn er sicher irgendwo hinkommen wolle, denn technisch könne sie das Ding wohl ganz gut durch die Luft steuern. Wenn man aber wissen wolle, wohin man denn gelange, sei man mit der Dame auf dem falschen Dampfer (oder im falschen Flieger), denn man wisse nie, wo man mit Angela Merkel lande. Und gerade jetzt zeigt sich ebendies wieder: Die Regierungschefin hat kein Ziel, wohin sie Deutschland steuern möchte, geschweige denn Werte oder Prinzipien, die sie dabei leiten.

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Es wird Zeit

Es wird Zeit. Zeit, dass das Winterwetter endlich weicht, denn Balkone wollen bepflanzt und Frühlingsgefühle genossen werden. Und schließlich wollen Tausende von Kiebitzen, Kranichen, Störchen und anderen ziehenden Piepmätzen, die vor den eisigen Ostwinden auf dem Weg nach Nordeuropa in Zugstau geraten sind, sich endlich dem Brutgeschäft widmen.

Doch auch für die Blog-Wiederaufnahme wird es einmal mehr Zeit, gerade weil es auch für die Politik Zeit wird, endlich aus dem Winterschlaf zu erwachen. Zumal angesichts der Tatsache, dass im Herbst die Hessen und Bayern neue Landesparlamente wählen müssen, insbesondere aber ganz Deutschland zur Bundestagswahl zu schreiten hat!

Ein Glück, mag sich mancher Wähler denken. Denn nach etwa drei Jahren gegenseitiger Blockierungen und Kasperlspielchen (“Gurkentruppe”, “Wildsau”, Merkel als erhitzter Frosch) prägt Apathie das Bild des Bundesregierung. ‘Wer sich zuerst bewegt, verliert’, so das offensichtliche Mikado-Motto das Kabinetts. Stillstand herrscht an allen Fronten – nicht nur im Verteidigungsressort, wo der Minister seine Truppen für’s Bedauertwerdenwollen zur Ordnung ruft. Der alte Recke Schäuble schafft es nicht, bei den sprudelndsten Steuereinnahmen seit jeher den Haushalt auszugleichen, Kristinchen Schröder sucht nach wie vor einen Betreuungsplatz (für sich selbst?), und während die Ex-Bildungsministerin sich zwischenzeitlich zum  Selbstschämen für die eigenen Plagiate gezwungen sieht, verhöhnt Sozialministerin von der Leyen die von Altersarmut Bedrohten mit neuem Begrifflichkeits-Zynismus wie der ‘Lebensleistungsrente’. Derweil zeigt sich Westerwelle besorgt ob das nordkoreanischen Atomdrohtheaters – fragt sich bloß: Who cares?

Grund genug also für die Opposition, mit den Hufen zu scharren, um doch endlich die Regierung abzulösen, nicht wahr? Es wird doch schließlich Zeit, dass die Merkels, Röslers, Ramsauers und Bahrs abgelöst werden, nicht wahr? Nun ja, die Umfragen zeigen nichts erfreuliches für die rot-grüne Alternative. Zwar verharrt die FDP im Unter-Fünf-Prozent-Nirvana (was aber, siehe etwa NRW und  Niedersachsen, nicht zwangsläufig Gutes verheißt). Doch die Union bleibt laut jüngster Umfrage bei über 40 Prozent – soviel wie SPD und Grüne zusammen zu bieten haben.

Das liegt vor allem daran, dass die Deutschen ihre Kanzlerin so großartig finden. Sie mögen es, wenn eine Gipfel zu Gipfel schwebende Merkel nichts tut, aber dem Volke durch Nichtssagen versichert, sie werde sich schon kümmern. Sie schafft es, durch ihr seriöses Auftreten und die Distanz zum eigenen (!) Kabinett, dem sie mit Richtlinienkompetenz (!) vorsteht, die Menschen glauben zu machen, sie habe mit der Regierung gar nichts zu tun, wie es Volker Pispers einmal so treffend formulierte. Sie ist nicht zu packen, weil sie nicht handelt und dies gar eloquent beschweigt. Doch dass solcher Handlungs- und Führungsmangel nicht genügen kann für die Lenkung eines 80-Millionen-Volkes, der stärksten europäischen Volkswirtschaft, liegt doch wohl auf der Hand! Dieses Defizit Merkels und ihrer schwarz-gelben Leistungsverweigererkoalition zu beschreiben, ja zu beschreien, ist jetzt zunächst die vordringlichste Aufgabe der Opposition.

Es wird Zeit: Für das Ringen um Lösungen der Probleme dieses Landes, für ein Ende der Apathie und der zynischen Worthülsen, kurz, für Wahlkampf!

Ohren offen!

Die SPD veranstaltet im Vorfeld der im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahl, speziell zur Vorbereitung des Regierungsprogramms, einen "Bürger-Dialog", an dem alle Mitbürgerinnen und Mitbürger teilzunehmen eingeladen sind. Auftaktveranstaltungen gab es heute deutschlandweit allenthalben, so auch in der Mainmetropole Frankfurt, hier mit einem der derzeitigen wichtigsten sozialdemokratischen Schlachtrösser – Ex-Finanzminister und Ministerpräsident Peer Steinbrück.

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