Nun amtlich: Soziale Selektion durch Studiengebühren

Endlich hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) "freigegeben" (die Unterverschlusshaltung des Werks thematisierte ich bereits). Jedem und jeder an Hochschul-, Bildungs- und Sozialpolitik Interessierten sei mindestens die Zusammenfassung der offenbar außerordentlich fundierten und emotionsfreien wie statistisch untermauerten Untersuchung ans Herz gelegt. Ausdrücklich zu betonen ist, dass es sich um eine repräsentative Studie handelt, was letztendlich bedeutet, dass die Ergebnisse für alle Studienanfänger des Jahrgangs 2006/2007 Aussagekraft besitzen. Drei Zitate aus der Zusammenfassung der HIS-Studie seien hier angeführt, bevor ich mich einem Kommentar zum Kommentar eines geschätzten Marburger Kollegen zu meinem letzten Beitrag widme.

  • Zitat Nr. 1: "Durch die Einführung von Studiengebühren verzichtet eine nennenswerte Zahl von Studienberechtigten auf das ursprünglich beabsichtigte Studium (Jahrgang 2006: zwischen 6.000 und 18.000). Insbesondere Frauen und Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern entscheidensich aufgrund von Studiengebühren gegen ein Studium." (S. 1)
  • Zitat Nr. 2: "Finanzielle Restriktionen bilden eine zentrale Motivgruppe unter den Gründen, die von der Aufnahme eines Studiums abhalten." (S. 2)
  • Zitat Nr. 3: "Studienberechtigte, von denen mindestens ein Elternteil ein Universitätsstudium abgeschlossen hat, lassen sich von Studiengebühren deutlich seltener in ihrer Hochschulwahl beeinflussen als Studienberechtigte anderer sozialer Herkunftsgruppen." (S. 2)

Allein diese drei zusammenfassenden Aussagen sind ein schwarz auf weiß dokumentiertes Desaster für die
Politik des BMBF, der Ministerin und vieler ihrer schwarzen und gelben Kollegen
in den Ländern. Und freilich erwähnt  die Pressemitteilung des Ministeriums die nun belegte sozialselektive Wirkung der Gebühren natürlich in keiner Weise – der Titel der Pressemitteilung "Studierende erwarten Qualität fürs Geld" entbehrt nicht einer gewissen Armseligkeit. Der Bewertung jenes Pressetextes einer gleichfalls geschätzten Kollegin aus meinen aktiven hochschulpolitischen Zeiten, "Man kann sich auch alles schönreden", ist nichts hinzuzufügen.

Die HIS-Studie "Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten. – Finanzierung und Auswirkungen auf Studienpläne und -strategien" kann HIER in vollem Umfang heruntergeladen und nachgelesen werden.

Und nun zum Kommentar zum Kommentar:

[Der Einfachheit halber antworte ich direkt zu den Anmerkungen des Kollegen JochenB, welche ich kursiv gestellt habe.]

"Wenn diese Studie zeigt, dass Kinder aus armen Familien im Vergleich zu Kindern aus reichen Familien von Teilen des Bildungssystems ausgeschlossen werden, wäre dies ein besorgniserregendes Ergebnis."

Was aus der damaligen Pressemeldung in der Tat nicht hervorgehen konnte, ist aus meiner Sicht nun belegt. Und ich stimme mit Nachdruck zu: Das ist ein besorgniserregendes Ergebnis.

"Ein allgemeiner Rückgang der Neuimmatrikulationen ist grundsätzlich nicht negativ. Ich habe zu viele Studenten gebremst, die das Studium offensichtlich als „Parkbank des Lebens“ oder Bespassung auf staatliche Kosten angesehen haben. Wenn dieser Teil der Studenten sich nun gegen ein Studium entscheidet, ist das sogar sehr positiv für die Ausbildung an Universtäten. Vielleicht erkennen auch immer mehr junge Menschen, dass die universitäre Ausbildung in Deutschland, welche quasi unverändert zum Konzept im 19. Jahrhundert ist, keine adequate Vorbereitung für ein Leben und eine Karriere im 21. Jahrhundert ist. Auch dies wäre eine sehr positive Entwicklung. Welche Qualifikation erreicht man in Deutschland durch einen Bachelor-Abschluss? Diese 2 Jahre kann man besser investieren."

Zunächst einmal: Es sind doch normalerweise immerhin 3 Jahre für einen Bachelor-Abschluss. Über die Vor- und Nachteile des Bachelor-Master-Systems oder gar die Funktion(sfähigkeit) universitärer (Aus-)Bildung zu debattieren, würde hier den Rahmen sprengen. Fakt ist jedoch, dass alle Politiker, auch diejenigen mit Unions- oder FDP-Parteibuch, die Forderung nach einer Erhöhung der relativen Studierendenzahlen wie eine Monstranz vor sich hertragen. Dies mag man bewerten, wie man will. Nehmen wir jedoch einmal an, dass dies ein erstrebenswertes Ziel sei. Wenn man weiterhin davon ausgeht, dass der Studierendenanteil an den Schulabsolventen aus akademischen bzw. sozial und materiell besser gestellten Elternhäusern bereits "ausgereizt" ist, muss man gezielt auf die "Bedürfnisse" derer eingehen, die sich bisher nicht für ein Studium entscheiden. Und da dies wiederum ebenjene sind, deren Finanzpolster elterlicherseits eher dürftig ausfällt, wirken die Gebühren doppelt kontraproduktiv. Doch selbst wenn wir davon ausgehen würden (und ich tendiere nicht dazu), dass nur wenige, die dann entsprechend geeignet sein sollten, zu den wahren universitären Weihen gelangen sollen, dann ist doch wohl klar, dass diese Auswahl nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen sollte – wie Du ja selbst sagst. Doch auch für eine solche "Bestenauslese" ist übrigens inzwischen belegt, dass alle möglichen Auswahlverfahren wie Motivationsschreiben, Auswahlgespräche etc. pp., wie sie für viele der zumeist zugangsbeschränkten "innovativen" Master-Studienprogramme vorgesehen sind, wiederum klar diejenigen bevorzugen, die aus "besserem" Hause sind und aufgrund ihrer dort erlernten Umgangsformen den professoralen Erwartungshorizonten innerhalb der Auswahlgremien eher genügen. Hierauf nun noch ausführlicher einzugehen würde allerdings endgültig den Rahmen sprengen…

"Wenden wir unseren Blick doch von dem relativ kurzfristigen Experiment ‘Studiengebühren’ zum Langzeitexperiment Bafög. Wenn finanzielle Aspekte die Bildungschancen beeinflussen, warum hat Bafög dann nicht dazu geführt, dass in Deutschland mehr Menschen aus armen Familien studieren als in Ländern ohne Bafög-Systeme und sogar Studiengebühren? Grundsätzlich sind wir doch einer Meinung: Der Zugang zu Bildung sollte nicht vom Vermögen der Eltern abhängen. Allerdings liegt die Lösung zu diesem Problem nicht in solchen simplen Faktoren wie Bafög oder Studiengebühren. Die Benachteiligung von Armen ist wohl eher ein Grundpfeiler des kapitalistischen Systems und mit einigen kosmetischen Eingriffen (z.B. keine Studiengebühren) nicht aus der Welt zu räumen."

Ich stimme Dir zu, dass BAföG und der Verzicht auf Studiengebühren nicht ausgleichen können, was in früheren Jahren verbockt wird. Doch eben diese Verbockungen auszugleichen, und zwar früh genug – mit kostenfreier frühkindlicher Bildung, Ausgleich von durch Migrationshintergründe bedingten Benachteiligungen, längeres, gemeinsames Lernen in kleinen Klassen mit motivierten und besser ausgebildeten Lehrern, Einzelförderungen bei erkannten Defiziten – muss das Ziel aller sein, denen an einem funktionierenden Gemeinwesen auch langfristig liegt. Die Politik beginnt dies immerhin in ihren Worthülsen zu begreifen, und es ist zu hoffen, dass denen auch baldmöglichst Taten folgen werden. Doch auf all die bisher vorhandenen Defizite auch noch eine Campus-Maut draufzusatteln hilft ja nun wirklich niemandem. Nicht dem kapitalistischen System, nicht dem Gemeinwesen und nicht dem oder der Einzelnen. Die Aussage "Der Kapitalismus bringt nunmal Ungleichheiten mit Gewinnern und Verlierern" habe ich schon oft gehört, und ich bin nicht bereit, sie als Grundkonstante einer demokratischen, solidarischen Gesellschaft hinzunehmen. Vielmehr muss das System (und ich bin der letzte, der den Kapitalismus, oder sagen wir besser: die soziale Marktwirtschaft, im Grundsatz abschaffen oder umstürzen will) dahingehend verändert werden, dass es dem Ausgleich zwischen den Bedürfnissen des Gemeinwesens und des Einzelnen gerecht wird. Doch auch das ist ein zu weites Feld an dieser Stelle…

"Ich bin natürlich auch gegen Studiengebühren in der jetzigen Form, d.h. Länder stopfen mit den Gebühren Haushaltslöcher und das Geld kommt nicht der Ausbildung zu Gute. Wenn Studiengebühren in eine Verbesserung der Ausbildung investiert und diese Investition jährlich transparent gemacht würden, dann würde ich Studiengebühren nach wie vor befürworten."

Nun muss man hierzu anmerken, dass es tatsächlich so ist, dass der allergrößte Anteil an den Gebühren den Hochschulen direkt zufließt. In den Universitäten versickert ein ordentlicher Anteil der Gelder allerdings in den üblichen administrativen Verschlingungen oder, wie mir der Prorektor der Uni Bonn im Rahmen einer Studiengangsakkreditierung mal offen sagte, "man findet Wege rheinischer Art, die Gebühren von der Lehre in andere Kanäle zu schleusen". Wie dem auch sei, trotzdem kommt ein Großteil der Gebühren in den Fachbereichen an – jede Abstellkammer verfügt doch inzwischen über Beamer, Laptop und Mikrofonanlage. Personal dagegen, also das, worauf es eigentlich ankommt, ist schwieriger zu finanzieren aus Gründen der Vorgaben der Kapazitätsverordnung, was dazu führt, dass sich beim 50. Beamer und 10. Computerpool irgendwann die Sinnfrage stellt, während Seminare und Vorlesungen nach wie vor aus allen Nähten platzen. Doch auch hier gilt: Dies in der gebotenen Ausführlichkeit zu diskutieren würde hier bei weitem zu weit führen.

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3 Kommentare

  1. Wenn diese Seite nicht auf hellgraue Schrift auf weißem Untergrund setzen wprde, könnte man sich mal alles detailliert durchlesen, aber das machen 36jährige Augen nicht mehr mit…
    Ich bin mir auch nicht sicher, ob Jochens Argument zum BaföG was taugt; immerhin fehlt ein Vergleichswert, wie die Entwicklung ohne Bafög wäre. Aus meinem persönlichen Bekanntenkreis sind mir durchaus Fälle bekannt, wo ohne Bafög defintiv kein Studium möglich gewesen wäre. Selbst mit Bafög hat das Studium zum Teil für die Eltern einen jahrelangen Verzicht auf Urlaub bedeutet. Der nächste Pferdefuß am Bafög ist m.E. die Tatsache, dass Anwaltsöhnchen unbeschwert ins Berufsleben starten kann, Fleischfachverkäufertöchterchen jetzt mit einem riesen Schuldenberg da sitzt, der abgetragen werden muss, sobald auch nur halbwegs anständig verdient wird.
    Völlig irrelevant finde ich das auch häufig geäußerte Argument, an den Elite-Unis im Ausland würden auch 10.00 Euro pro Semester verlangt. Dieses Prinzip ist natürlich ein ganz anderes; ohne das massive Einwerben ausländischer Studierender wären auch diese Einrichtungen materiell und noch viel mehr geistig schon längst dort, wo sie hingehören: Auf dem Misthaufen bürgerlicher Bigotterie!
    Jochen hat aber recht, wenn er eine Beschränkung der Studierendenzahlen auf eine sinnvolle und entsprechend motivierte Menge fordert bzw. begrüßt. M.E. kann jedoch hier kein finanzielles Auslesekriterium bemühen, nach dem Motto “Nur wer zahlt, ist motiviert”. Über Leistungsnachweise, beginnend mit den Abiturleistungen ist das sinnvoll. Damit meine ich nicht einen NC, der beliebig der Aufnahmekapazität eines Fachbereiches folgend nach oben verschoben werden kann! Allerdings müsste hierfür flächendeckend die Abkehr von der Mittelzuweisung rein nach Studierendenzahlen Abstand genommen werden. Das würde jedoch eine generelle Bedeutung der Situation an deutschen Unis bedeuten, und das steht definitiv nicht auf dem Plan dieser Regierung, und auch nicht der nächsten oder übernächsten. Selbst die jüngst beschlossene Nano-Erhöhung der Bildungsausgaben von unter 10% des bisherigen Wertes im Verlaufe der nächsten 6 Jahre macht mir eher Angst, denn bisher wurde jedes Versprechen, die Bildungsausgaben zu erhöhen von der regelmäßig stattfindenden Reduzierung der Mittel unseres Fachbereiches zwischen 2,5 und 5% begleitet.Inzwischen hat man sich ja schon mehr oder minder von der Forschung an deutschen Unis verabschiedet und diese zur Aufgabe von MPI und Helmholtz gemacht. So dreht sich die ganze Geschichte im Kreis; Studiengebühren, Bildungsausgaben, Situation an den Unis. An der Generalrenovierung des Systemes käme man eigentlich nicht vorbei, wenn es nur jemanden an verantwortlicher Stelle gäbe, der sich überhaupt dafür interessiert…

    1. Was meinst Du mit hellgrauer Schrift? Kann keine finden…
      Nein, ernsthaft: 1. Danke für den Kommentar, dem ich in unerhört weiten Teilen zustimme und 2. danke für den Hinweis, den ich mir (nach einigen weiteren solchen) mal zu Herzen genommen habe und in eine Designänderung habe einfließen lassen.

  2. So ist’s brav…endlich kann man lesen, was man selber geschrieben hat, auch die Schreibfehler, sorry…sollte z.B. natürlich 10.000 Euro pro Semester an den liteunis heissen…Falls es in meinem obigen Gewafel nicht deutlich rüberkommt: ich bin gegen Studiengebühren, aus prinzipiellen weltanschaulichen Erwägungen und wegen Zweifel an Ihrer Sinnhaftigkeit. Siehe die abendteuerliche Vergabe von Krediten, um diese zu finanzieren (siehe Artikel im letzten Laborjournal!).

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