Ein deutsches Harvard taugt nicht als Ziel

Einmal mehr beklagte der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe kürzlich das Fehlen deutscher Spitzen-Universitäten nach dem Vorbilde der US-Eliteschmieden Harvard, Stanford und Berkeley oder der britischen Oxbridge-Counterparts. Erst auf Platz 49 des bekannten Shanghai-Rankings tauche mit Heidelberg eine deutsche Alma mater auf, das Gros der hiesigen Universitäten tummle sich weit hinten in der internationalen Rangliste. Das Mittel zur Abhilfe hat Joffe auch gleich ausgemacht: Studiengebühren. Zu Unrecht verteufelt seien sie nicht als Belastung, sondern als Zukunftsinvestition zu begreifen, und nur mit ihnen könne Deutschland aufschließen zur internationalen Exzellenz-Liga.

Geflissentlich vergessen wird von Joffe und all denen, die ohne Unterlass vom deutschen Harvard oder Oxford schwärmen, der Blick auf größere Ganze – das Bildungssystem, auch im Kontext der Gesellschaft insgesamt. Die oben genannten Elite-Universitäten der Vereinigten Staaten und Englands sind ohne Zweifel herausragend in Forschung und Lehre. Doch eine ernsthafte Debatte zur Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems muss den Blick auch und vor allem auf die Landschaft richten, aus der die Leuchttürme herausragen! Zugespitzt: Während der amerikanische und britische Leuchtturmwärter (aka Hochschulrektor) von hochdroben in den Abgrund schaut auf eine wüste Ebene, blicken die Präsidenten der besten deutschen Unis zwar von etwas niedrigerer Warte, doch dafür auf ein Hochplateau in Gestalt eines deutlich breiteren Fundaments recht solider Bildungseinrichtungen (von Gesamtschulen und Gymnasien über Fachhochschulen bis zu zahlreichen sehr ordentlich arbeitenden Universitäten). Und aus diesem Hochplateau ragen viele höchst erfolgreiche und engagierte Forscher und Hochschullehrer hervor. Deren Förderung ist im Sinne des wissenschaftlichen Fortschritts und einer besseren Lehre deutlich nachhaltiger als das prestigegesteuerte Aufpumpen einzelner Großeinrichtungen.

Das soll nicht heißen, dass das deutsche Wissenschaftssystem keiner Reformen bedarf. Es wird gelähmt von chronischer Unterfinanzierung, antiquierten hierarchischen Strukturen und der Perspektivlosigkeit des Nachwuchses. Diese Defizite sind auch Hemmschuhe für den wissenschaftlichen Erfolg: So wird ein schlauer Kopf, der nicht weiß, ob er in einem halben Jahr noch die Miete zahlen kann, kaum Spitzenforschung leisten können. Und ein Mitarbeiter, der von Lehrpflichten erdrückt wird, während die akademischen Rechte nur dem Chef zustehen, wird sich auch nicht vor Motivation überschlagen. Doch diese und andere Probleme zu beheben wird mitnichten gelingen, wenn die Spitze künstlich aufgeblasen wird auf Kosten des Niveaus in der Breite. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Eine bessere Basis produziert auch – mit sinnvoller Förderung und attraktiven Anreizen – mehr Top-Leistungen. Das deutsche Harvard ist nicht mehr als ein griffiges Bild – als Ziel taugt es nicht.

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