Eine Lanze für die Taxonomie

Ich muss brechen. Und zwar die im Titel angedeutete Lanze für Taxonomie und Biodiversitätsforschung [1]. Allenthalben werben momentan große überregionale Zeitungen in ansehnlichen Artikeln für die Wissenschaft von der Beschreibung und Systematisierung der Lebewesen. Anlass hierfür ist der sich heuer zum 300. Male jährende Geburtstag des schwedischen Botanikers Carolus Linnaeus (später Carl von Linné), dessen "Systema Naturae" in weiten Teilen bis heute Bestand hat. Ich stimme gerne mit ein in den Chor, der die Wichtigkeit dieser Forschung mit Nachdruck betont. Es ist in der Tat ein Skandal schizophrener Parallelität: Während jeden Tag mehr Arten für immer von der Erde verschwinden, scheint die Wissenschaft, die jene Arten und ihre Eigenschaften erforscht, zum selben Schicksal verdammt zu sein.

Eine ganze Generation Taxonomen geht gerade in den Ruhestand, ihre Lehrstühle werden besetzt mit Wissenschaftlern, die den Namen "Zoologe" oder "Botaniker" wohl kaum mehr verdienen – bleibt ihnen doch, forschend weit weg vom lebenden Objekt in dessen Innerem an Zellen und Organellen sowie deren Prozessen und dergleichen, der Blick auf die Vielfalt der Arten verwehrt. Oder die Professuren werden gleich ganz umgewidmet in Richtung Geno, Nano, Techno. Forschungsgelder sind für viele "klassische" Biologen oftmals ferner als die Länder, in die sie reisen müssten, um ihr Forschungsmaterial zu beschaffen, den Studenten wird von den frischberufenen Innovativprofessoren jedes Interesse an der Vielfalt der Pflanzen und Tiere madig gemacht, und sie haben gar Recht, wenn man denn die Stellensituation an Universitäten und Museen berücksichtigt.

Es ist an der Zeit, dem Kahlschlag an der Vielfalt – an der wissenschaftlichen wie der biologischen, ein Ende zu machen! Doch möchte ich nicht missverstanden werden: Mitnichten plädiere ich für ein "Weiter so". Jede Wissenschaftsdisziplin wandelt sich, so auch die biologische Taxonomie und Systematik. Jeder ernstzunehmende Spezialist dieses Fachs muss heute auch auf moderne Labor- und Computermethoden zurückgreifen. Doch muss insbesondere den Stellenkürzungen, Professurenverwandlungen und Finanzengpässen Einhalt geboten werden. Nur wenn Studierende und junge Wissenschaftler auch eine persönliche Zukunftsperspektive sehen, werden sie sich wirklich nachhaltig für die biologische Vielfalt, mit all den heute gegebenen methodischen Herausforderungen, begeistern können. Und eben dies ist im Zeitalter von Artensterben und Klimaerwärmung bitter nötig.

Hinsichtlich der Zukunft von Linnés Erben gibt einige Lichtlein am Ende des Tunnels, die in den in den hier angegebenen Artikeln zu erahnen sind. Mit diesem Hoffnungsschimmer empfehle ich einige hervorragende Leseproben:

Einer der bedeutendsten Evolutionsbiologen unserer Zeit, der Konstanzer Zoologe Axel Meyer schreibt in der F.A.Z. über "Die Sternstunde, in der die Schöpfung ihren Lotsen fand" sowie über die Crux der Arten, bzw. ihrer Definition.

In der ZEIT schreibt Matthias Glaubrecht, Systematiker und Evolutionsbiologe am Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität zu Berlin, über "Die Erben Linnés auf der Roten Liste".

Die Süddeutsche Zeitung schließlich spricht von Linné als "Kanzleibeamten des Herrgotts" und interviewt den Paläontologen Reinhold Leinfelder.

Der Artikel "Mit jeder aussterbenden Art verlieren wir Millionen Jahre Evolutionsgeschichte" aus der F.A.Z. vom 26. Mai 2007 lässt sich leider kostenfrei online nicht abrufen. Er berichtet über die Arbeit von Walter Jetz, in der dieser "das Linnésche Projekt mit Großrechner und Geoinformationssystemen weiterführt". Walter Jetz ist gebürtiger Bayer und inzwischen Assistant Professor an der University of California, San Diego. Statt auf den Artikel verweise ich gerne auf die Homepage seines Labs, nicht ohne zu erwähnen, dass meine beiden Doktorväter, Carsten Rahbek und Miguel Araújo, sowie demnächst auch ich eng mit Walter zusammenarbeiten.

Gerne verweise ich auch auf die Taxonomie-Initiative, die sich die Stärkung des Faches auf die Fahnen geschrieben hat.

[1] Wer mich und meine humoristischen Vorlieben weniger gut kennt, der sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Ausdruck "Ich muss brechen. Eine Lanze…" aus dem reichen Fundus der Wortspielereien des unvergessenen Heinz Erhardt entliehen ist.

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