Lastwagenklagen kontra Bezahlstudium

Es ist vollbracht! Ich gebe offen und ehrlich zu, dass ich es nicht für möglich gehalten hätte. Doch in Hessen haben nun Tausende wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger der Landesregierung gezeigt, was sie von ihr halten – zumindest jedoch von ihrer Hochschulpolitik und von ihrem Umgang mit der Landesverfassung.

[Mehr zur hessischen Hochschulpolitik u.a. auf www.open-politix.de]

Wer immer noch nicht weiß, wovon ich hier überhaupt rede, dem helfe ich gerne mit der einen oder anderen Zeile auf die Sprünge.

Die Fakten

Die Hessische Landesregierung, allen voran Wissenschaftsminister Udo Corts und Ministerpräsident Roland Koch, wollen zum Wintersemester Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester einführen. Massive Proteste haben leider nichts daran ändern können, und so sollen laut Gesetz ab Oktober die Studierenden zur Kasse gebeten werden.

Nun ist es aber, anders als in den übrigen Bundesländern, die das Bezahlstudium etabliert haben, in Hessen so, dass in der Landesverfassung die Kostenfreiheit an allen Schulen und Hochschulen festgeschrieben ist, und nur, wenn es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern des Schülers erlauben, kann ein "Schulgeld" (sic!, kein "Hochschulgeld") erhoben werden. Das scheint den Minister wenig zu stören, und so hat er sich über alle Bedenken auch namhafter Fachkräfte, das "Studienbeitragsgesetz" verstieße gegen die hessische Verfassung, hinweggesetzt. So weit, so gut. Nun sieht die hessische Verfassung aber auch vor, dass ein so genanntes Normenkontrollverfahren durchgeführt werden muss, wenn eine Verfassungsklage eingereicht wird. Leider kann dies aber nicht jeder hessische Bürger einfach so tun, es sind vielmehr Unterschriften von einem Prozent der Wahlberechtigten (knapp 44.000) zu leisten, um das Normenkontrollverfahren beim Staatsgerichtshof in Gang zu setzenDoch nicht genug damit: Eine einfache Unterschrift reicht nicht. Stattdessen müssen die Unterzeichnenden sich beim Einwohnermeldeamt die Unterschrift beglaubigen lassen. Dies bedeutet somit eine erhebliche Hürde in dem ganzen Prozess – wer geht schon gerne für eine Unterschrift, von der er persönlich womöglich gar nichts hat, aufs Amt! Wie bereits erwähnt, haben mich diese Tatsachen der Verfahrenserschwernis nachhaltig am Gelingen dieser Aktion zweifeln lassen.

Doch siehe da: Es ist vollbracht. Vergangene Woche fuhr vor dem Staatsgerichtshof ein Lastwagen vor, der 78.721 (!!!) beglaubigte Unterschriften geladen hatte. Damit ist die Vorgabe beinah um das Doppelte übertroffen worden, der Staatsgerichtshof muss prüfen, und die Studierenden, Schüler und Eltern können hoffen.

Die Bewertung

Die übergroße Beteiligung an dieser Aktion ist ein Schlag ins Gesicht der hessischen Landesregierung. Diverse CDU-Politiker des Landes haben natürlich sogleich verlauten lassen, dass man der Klage gelassen entgegen sehe, und die notwendigen Unteschriften seien ja nur mit Müh und Not zustande gekommen. Hallo? Herr Ministerpräsident, Herr Minister, Herr Fraktionsvorsitzender, Frau hochschulpolitische Sprecherin, in welcher Welt leben Sie denn? Sie sollten dringend einen Arzt Ihres Vertrauens, oder besser: des Vertrauens der unterzeichnenden hessischen Bürger aufsuchen, denn Sie leiden offenbar unter akutem Realitätsverlust. Dass bei einem solch bürokratisch überfrachteten Verfahren die notwendige Zielmarge bei weitem übertroffen wurde, ist ein Zeichen dafür, dass ein ganz erheblicher Teil der hessischen Bevölkerung mit Ihrer Politik nicht einverstanden ist! Natürlich, Studierendenvertreter haben mit Werbekampagnen auf die Verfassungsklage aufmerksam gemacht, Gewerkschaften machten mobil und sozialdemokratische Oberbürgermeister halfen beim Erleichtern der Amtsdinge, wo es nur ging. Doch abgesehen davon ist es doch kein Wunder, dass die Bürger erbost sind darüber, wie mit der Landesverfassung umgegangen wird: Herr Corts, Herr Koch, Frau Kühne-Hörmann, Sie haben mit Ihrer absoluten Mehrheit und mit fadenscheinigen Gutachten die Verfassung verbogen, um falsche Politik durchzusetzen! Sie haben die Bürger hintergangen, indem Sie sie NICHT in einer Volksabstimmung befragt haben, ob sie eine Änderung der Landesverfassung in diesem Punkte wollen. Wahrscheinlich, weil Sie sich denken konnten, dass dies nicht geschehen wäre. Und nun spielen Sie das demokratische Engagement von fast 80.000 Menschen dieses Landes herunter. Die hessische Landesregierung hat nicht nur den Realitätssinn verloren, sondern scheint auch ihr demokratisches Gewissen über Bord geschmissen zu haben. Es wird Zeit, dass Hessen eine andere Regierung bekommt. Doch vor allem wird es nun Zeit, dass der Staatsgerichtshof sich schnellstmöglich an das Normenkontrollverfahren macht, die Verfassung im Namen der hessischen Bürger verteidigt und das Studiengebührengesetzesmachwerk für verfassungswidrig erklärt.

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2 Kommentare

  1. Diesen Nachtrag zur Verfassungsklage lasse ich mir selbstverständlich nicht nehmen:Mit Datum vom 27.06.2007 beginnt das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, vor der Macht der Verfassungskläger einzuknicken. Auch wenn die bereits an anderer St

  2. Am Sonntag wählen die hessischen Wahlberechtigten einen neuen Landtag. Daraus, dass ich hoffe, dass die CDU-Landesregierung mit Pauken und Trompeten abgewählt wird, mache ich keinerlei Hehl – im Gegenteil.[Einen Beitrag zur Armseligkeit des CDU-Wahlkamp

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