Ein Festival des Konjunktivs…

– ein Desaster für Hessen

Müsste, hätte, würde, könnte, dürfte, wäre – das sind die konjunktivischen Hilfsverben, die im Zeitalter der Kursturbulenzen Konjunktur haben. Doch um mal mit meinem langsam verblassenden, jedoch noch nicht verblassten (man beachte den feinen Unterschied zwischen den Partizipien des Präsens Aktiv und des Perfekt Passiv!) lateinischen Wissen aufzutrumpfen: Konjunktur kommt von conjungere (zusammenfügen), und die vielen mit Umlauten versehenen Verben beschreiben, wenn man ins Polittheater nach Hessen schaut, mitnichten eine Zusammenfügung von was auch immer – seien es Vernunft, Anstand, Begabung, Besonnenheit oder Verantwortung. Worum geht es? Übernacht hat sich zu einer singulären Gewissensträgerin in der SPD-Landtagsfraktion in Wiesbaden eine Troika von Abweichlern gesellt, die urplötzlich, nach unzähligen Sitzungen, Vorabstimmungen, Beratungen, Vieraugengesprächen, Regionalkonferenzen und nach einer 95prozentigen Parteitagsmehrheit angesichts einer drohenden morgigen Wahlkabine von der Unterstützung für einen Politikwechsel in Hessen abgefallen sind, um gewissermaßen ihrem Gewissen zu folgen. (Das hämische Grinsen gewisser nichtsdestoweniger geschätzter Kolleginnen in der Heimat sehe ich bis nach Madrid strahlen.) Trotzdem: Radikal provokativ und im konjunktivistischen ductus formuliert: Wäre diese Quadriga der Vernunft gefolgt und hätte sie ihre Profilneurosen zu Hause gelassen, hätte morgen in Hessen eine neue politische Zeit anbrechen können – für eine bessere Bildungspolitik, für mehr soziale Gerechtigkeit, für eine nachhaltige Energiepolitik und, und, und. Stattdessen bleibt Roland Koch nun wahrscheinlich im Amt. Ich muss mich beherrschen, dies ausführlicher zu kommentieren…

Doch ich bitte mich nicht falsch zu verstehen: Ich stimme Franz Müntefering uneingeschränkt zu, wenn er sagt, "es gebe in der Politik keine höhere Verantwortung als die Gewissensfreiheit eines gewählten Abgeordneten". Doch sein Nachsatz sei gleichfalls mit Nachdruck unterstrichen: Die Verantwortung eines Parlamentariers beginnt nicht erst beim Gang zur Wahlkabine, sondern bereits während der Vorbereitung.

Meine Wunschversion wäre folgende gewesen: Andrea Ypsilanti hätte vor ihrer Wahl keine Koalitionsoption ausschließen sollen, dann wäre sie nicht in die Bredouille gekommen, einen Wortbruch begehen zu müssen. Als dies jedoch vergeigt war, zählte ich (Umlaut, aber kein Konjunktiv!) durchaus zu den Sympathisanten des von der Landesvorsitzenden eingeschlagenen Weges, zum einen die Alternative einer Forsetzung der Kochregierung vor Augen, zum anderen die politische Grundregel, dass die Verantwortlichen die Wahl haben zwischen weniger und mehr ungünstigen Optionen. Doch das Kind ist ja nun auch in den Brunnen gefallen.

Was nun? Die ehrlichste, wenn auch sicherlich für die hessischen Sozialdemokraten schmerzlichste Version, wären Neuwahlen. Jamaika oder eine große Koalition ohne die Exponent(inn)en Ypsilanti und Koch sind Alternativen, über die sich nun andere den Kopf zerbrechen sollen. Ich schließe mit dem Ausdruck meines Bedauerns, dass die nächsten Jahre für Hessen aller Wahrscheinlichkeit nach keine guten für Hessen werden (und hier verwende ich ganz bewusst und ganz im Sinne eines unverbesserlichen Optimisten, abermals den Konjunktiv) KÖNNTEN.

Postremo: Ceterum censeo democratiam socialem esse adiuvandam.

Beteilige dich an der Unterhaltung

3 Kommentare

  1. Angesichts dieses Schmierentheaters, das sich in Hessen seit Monaten vollzieht, bleibt selbst mir das Lachen im Halse stecken, geschweige denn, dass sich ein Grinsen auf meine Lippen verirrt.
    Ich halte es in diesem Fall mit Claudia Roth, die gestern von einer noch nie da gewesenen “politischen Verkommenheit” sprach – ohne jedoch Namen zu nennen. Frau Ypsilanti wäre gut beraten gewesen, statt tausende von Euro in Berater zu investieren, einen der Klassiker der politikwissenschaftlichen Literatur, Max Webers “Politik als Beruf” zu Rate zu ziehen. So manch peinliche Stunde wäre ihr – und uns – erspart geblieben. Denn schon vor 90 Jahren war diesem klar, dass der Wille zur Macht nur eine der Eigenschaften ist, die ein Politiker haben sollte, nicht aber die ausschließliche. Ob es nun schlimmer ist, einen Zug in voller Fahrt gegen die Wand fahren zu lassen, oder diesen kurz vor der Zieldurchfahrt zum Engleisen zu bringen, sei einmal dahingestellt. Dass sich das Gewissen der drei “wie-auch-immer-man-sie-jetzt-nennen-mag” erst am Wochenende gemeldet hat, mag glauben, wer will.
    Ein letztes Wort noch zu Frau Ypsilanti: Wem es in der Küche zu heiss ist, sollte sich eben nicht an den Herd stellen. Und wer glaubt, dass alle immer nur fair miteinander umgehen und (versuchte?) Umstürze monatelang vorher bei Antragskommissionen vorgeschlagen werden, sollte sich überlegen, ob er in der Politik richtig ist oder es jemals war.

    1. Liebe Frau Kollegin, wenn Ihnen auch das Grinsen oder Lachen vergangen ist, so wird dies durch eine doppelte Portion Häme kompensiert. Doch dies sei Ihnen zugestanden angesichts des Debakels.
      Zum Thema Schmierentheater merke ich allerdings an, dass die hessische Union mal ganz vorsichtig sein sollte, sich als die Hüterin von Wahrhaftigkeit und Staatstragen darzustellen, wie es Roland Koch am Wochenende u.a. bei einer FDP-Versammlung tat. [pers. Anm.: Ich hätte k… können beim Zuhören!]. Ich erwähne nur die Stichworte “Jüdische Vermächtnisse” und “Brutalstmögliche Aufklärung”, der der heutige Bundesverteidigungsminister – damals Staatskanzleichef – als Bauernopfer anheim gegeben wurde, sowie Kochs unsägliche ausländerfeindliche Wahlkämpfe.
      Ich sag’s nochmal – ich hätte mir einen Politikwechsel gewünscht in Hessen – um nichts anderes ging es mir! Der wurde von vier “wie-auch-immer-man-sie-jetzt-nennen-mag” verhindert. Diese sind es (bzw. drei davon) denen es, um es abermals deutlich zu sagen, in der Küche zu heiss wurde! Und jetzt zu sagen “Wir haben aber immer Kritik geübt”, während man in den geheimen Probeabstimmungen brav eine Zustimmung vorheuchelte, ist armselig, um es vorsichtig zu formulieren.
      Nun bekommt der Koch, der schon längst die Küche hätte verlassen sollen, also wahrscheinlich abermals die Gelegenheit, den hessischen Zug zu steuern, den er in nahezu allen Bereichen an die Wand fuhr – egal ob in der Haushalts-, Innen-, Sozial-, Schul-, Hochschul-, Umwelt-, oder Energiepolitik. Herzliche Glückwurst!

  2. Eine Frage stellt sich mir aber immer noch: Aus welchen Sätzen und / oder gar Zeilen liest Du heraus, dass ich Roland Koch befürworte? Ich bin viel zu wenig in die hessische Politik involviert, als dass ich mir ein abschließendes Urteil über diese erlauben könnte.
    Eine gewisse Häme, die mir attestiert wurde, kann ich allerdings in der Tat nicht verhehlen. Denn dass Frau XY mit allem, was dazugehört hätte, nicht in Amt und Würden kommen wird, ist mir nicht unrecht. Da mag sogar Roland Koch noch das kleinere Übel sein – aber wer wäre das nicht???
    Schließen möchte ich heute wiederum mit dem Zitat eines Grünen, der schon am Sonntag sinngemäß sagte, dass “wenn die SPD in Hessen es nicht schafft, eine eigene Mehrheit herzustellen, sie sich auf Jahre hinaus von der Regierungsverantwortung verabschieden wird.” Da sprach Herr Al-Wazir ein wahres Wort gelassen aus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

61 − 58 =