Was ein Unfug

Der jüngste Spiegel-Kommentar zur SPD-Krise gibt (a) Anlass zur Heiterkeit und (b) Vernunft und Geschichtsbewusstsein des Autors der Lächerlichkeit preis.

Die SPD lasse sich wie ein blödes Schaf von Angela Merkel zur Schlachtbank führen, so Christoph Schwennicke in seinem jüngsten Kommentar zum Zustand der Sozialdemokraten im bisher nicht so recht beginnenden Wahlkampf. Sie seien auf Hartz-IV-Niveau angekommen, die Kanzlerin führe den Kandidaten Steinmeier erbarmungslos vor, und Peer Steinbrück sei der größte Versager der deutschen Politik. Die einzige Hoffnung der Genossen, so Schwennicke, sei ein Eklat in der Abstimmung über die Wahlrechtsreform gewesen, in der die SPD aus der Koalitionsdisziplin hätte ausbrechen sollen, um mit Grünen und Linken für eine – zugegeben vom Verfassungsgericht angemahnte – Gesetzesänderung zu stimmen. Ob der sonst außerordentlich fähige Spiegel-Reporter sich und seinem Blatt (bzw. dessen Online-Version) mit diesem Beitrag einen Gefallen getan hat, darf mehr als bezweifelt werden, lassen sich doch in Windeseile drei bestechend einfache Gegenargumente aufschreiben.

Erstens: Was wäre gewesen, wenn die SPD in der letzten Sitzungswoche die Koalition wegen der Wahlrechtsreform hätte platzen lassen? Sie hätte mehr Schaden davongetragen als Nutzen. Freilich, sie hätte Aufmerksamkeit bekommen, und hätte sogar in ihrem Sinne entschieden, wird doch das derzeit noch geltende Recht (welches aus Karlsruhe als verfassungswidrig bewertet wurde) vermutlich vor allem der Union zusätzliche Mandate in die Fraktion spülen. Der Schaden freilich liegt auf der Hand: CDU und CSU hätten keine Sekunde gezögert, die SPD als Vertragsbrecher aus Eigennutz hinzustellen. Und einem aus der Mottenkiste gezogenen rot-dunkelrot-grünen Schreckgespenst wäre Tor und Tür geöffnet gewesen. Nein, die SPD hat richtig und besonnen gehandelt – wenn auch das Wahlrecht dringend reformiert gehört. Doch besonders bei solch entscheidenden Fragen wie der Wahlgesetzgebung sollte nichts übers Knie gebrochen werden, sondern will gut Ding Weile haben.

Zweitens: Peer Steinbrück stellt die gesammte Unionsministerriege um Längen in den Schatten. Der Finanzminister hat die Banken-, und Wirtschaftskrise glänzend gemanaged – nicht auszudenken, wenn das Insolvenzbarönchen Guttenberg das hätte leisten müssen. Den Schuldenberg, der nun vor dem Finanzminister liegt, hat darüber hinaus nun wirklich nicht er selbst zu verantworten – bei normaler Konjunktur wäre Steinbrück in der Tat 2011 als Vater des ersten ausgeglichenen Haushalts seit Menschengedenken gerühmt worden. Und schließlich nennt er auch unangenehme Dinge beim Namen (zugegeben teils zu Lasten des eigenen Lagers, siehe Rentendebatte), weiß mit brillantem  Fachverstand zu beeindrucken und stellt mit messerscharfer wie unterhaltsamer Rhetorik selbst zu kompliziertesten Fragen beinah jeden anderen Parlamentsredner (seine CDU-Ministerkollegen zumal) in den Schatten. Wie Herr Schwennicke also zu seinem Schluss kommt, Steinbrück sei der Regierung Versager vor dem Herrn, mag mir und vielen anderen beim besten Willen nicht einleuchten.

Drittens: Der Blick auf die vergangene Bundestagswahl sollte die schreibende Zunft mehr Vorsicht lehren, voreilig derartigen Schlachtbank-Prognosen das Wort zu reden. Ein kurzer numerischer Überblick auf die Entwicklung der prozentualen Verhältnisse von CDU/CSU und SPD vor bzw. bei der Wahl 2005 mag ein wenig Erleuchtung bringen:

  • 15. Juli – Union 43%, SPD 27%
  • 16. August – Union 42%, SPD 29%
  • 7. September – Union 42%, SPD 32%
  • 18. September (Wahlergebnis) – Union 35,2%, SPD 34,2%.

Mit anderen Worten: 2005 lagen die Schwarzen selbst zehn Tage vor der Wahl mit schier uneinholbaren 10% vor den Roten, zwei Monate zuvor waren es gar 16%. Entscheidend ist aber, was hinten rauskommt, und das war ein kümmerliches Prozent Abstand am Abend der Wahl. Noch anders: Wer mehr als zwei Monate vor der Wahl dieselbe für entschieden erklärt, hat (a) aus der Vergangenheit nichts gelernt, unterschätzt (b) die Dynamik eines spät einsetzenden Wahlkampfs und nimmt (c) den Souverän, welcher auch in der Wahlkabine noch in der Lage ist, alle Umfragen irren zu lassen, fahrlässig wenig ernst.

Mein Fazit: Die SPD hat noch Zeit, das Blatt zu wenden. Es wird noch spannend, dessen bin ich, um mit der Wortwahl des Kanzlerkandidaten zu schließen, fest überzeugt.

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