Zum Wahnsinnigwerden

Nun sitz’ ich hier und kann nicht anders – als doch was zu bloggen. Da will man als Dissertationsendphasen-geplagter Doktorand am Sonntagabend einen Manuskriptentwurf voranbringen, und was passiert? Für eine Stunde politischer Unterhaltung schaltet man das Erste Deutsche Fernsehen ein, wo Anne Will über die Bildung diskutieren lässt. Und da muss man sich eine Bildungsministerin anhören, die jeden aufmerksamen und am Bildungsthema interessierten Zuhörer an den Rand des Platzens bringen. Annette Schavan ist – angesichts ihrer Machtlosigkeit insbesondere nach der letzten Föderalismusreform – bereits qua Amt der Grüßaugust der Bundesregierung. Doch dass sie diesen Titel mit der Sinnentleertheit ihrer Phrasen nachhaltig untermauert, ist trotz ihrer Parteizugehörigkeit schwerlich zu begreifen. Drei Beispielen ihrer Worthülsen folgen jeweils Kommentare meinerseits, die mir hoffentlich eine geruhsame Nacht ermöglichen.


"Wir brauchen Leidenschaft für Bildung"

Richtig. Doch wenn man diese Aussage ernst nehmen würde, würde man zum einen nicht die in der Tat leidenschaftlichen und nur allzu berechtigten Studentenproteste als turnusmäßiges Event im Hochschulwesen abkanzeln, sondern sie ernst nehmen. Zum zweiten müsste man zur Kenntnis nehmen, dass die Leidenschaft für Bildung in Deutschland über alle Maßen (und immer mehr) vom elterlichen Hintergrund und vor allem deren Geldbeutel abhängt. Für mehr Leidenschaft über alle sozialen Schichten hinweg müsste der Staat folglich ganz andere Maßnahmen ergreifen als die bereits ergriffenen (Studiengebühren – dazu hier mehr) oder geplanten (Herdprämie für das Fernhalten von öffentlichen Bildungseinrichtungen u.ä.). Zum dritten müssten die Verantwortungsträger in den Bildungseinrichtungen, endlich die Möglichkeit der Vermittlung von Leidenschaft an am Wissen, am Lernen, am Verstehen, am Hinterfragen bekommen. Doch welcher Lehrer oder Professor motiviert zur Leidenschaft für Bildung, wenn er vor überfüllten Klassen oder Seminaren stehend überfrachtete Lehrpläne vermitteln soll, derweil er bei jedem Landesregierungswechsel durch eine neue Strukturreform gejagt wird bzw. bei jedem Übertritt von einem Bundesland zum nächsten im deutschen Bildungsflickenteppich zum nahezu kompletten Systemwechsel gezwungen wird.


"Es gibt keinen Tempodruck für die jungen Menschen, sondern die Bildungswege sollten von Pluralismus und Freiheit geprägt sein."

Frau Dr. Schavan, es mag sein, dass sie als Schulministerin in Baden-Württemberg und seit vier Jahren als recht machtlose Bundesbildungsministerin nicht direkt verantwortlich für die Studienreform sind. Doch dies entbindet sie doch nicht von der Möglichkeit, wachen Auges die Entwicklungen im Hochschulsystem zu verfolgen! Wer in sechs Semestern den Bachelor nicht schafft, kriegt nach diesen drei Jahren das BAföG gestrichen – und für den, der darauf angewiesen ist, muss ihre Pluralismus- und Freiheits-Behauptung wie Hohn anmuten. Freiheit eben für die, die es sich leisten können – Gratulation. Doch es geht um mehr: Seit mindestens einem Jahrzehnt steht das Dogma der schnellstmöglichen Verwertbarkeit des Humankapitals „Universitätsabsolvent“ ganz oben auf der Agenda der politisch Handelnden, gerät die umfassende Bildung junger Menschen zur mündigen, kritischen und verantwortungsbewussten Teilhabe in einem demokratischen Gemeinwesen fast vollends in den Hintergrund. Um dem üblichen Missverständnis vorzubeugen: Ein Studium soll auch (und womöglich vor allem) zur erfolgreichen Ausübung eines Berufes befähigen. Doch kann es sich ein Gemeinwesen langfristig leisten, denen, die sich die Fähigkeit zur Reflexion, den Mut zur Verantwortung, und die Freiheit zur Reflexion erarbeiten wollen, aller nur erdenklichen Steine in den Weg zu legen? Darüber sollten Sie nachdenken, Frau Ministerin, wenn Sie sagen, es müsse endlich mal über Bildungsinhalte diskutiert werden.

"Es gibt keine politische Gängelung der Hochschulen mehr."

Die Hochschulen hätten die Autonomie gefordert, die sie nun haben, also sollten sie auch eigenständig die Probleme lösen, etwa bei den Bologna-Reformen, so die Ministerin. Doch die Autonomie erstreckt sich in aller Regel auf die Verwaltung von Mangel, Unterfinanzierung und Überfrachtung mit Bürokratie. Bleiben wir bei der Studienreform: In der Tat war eines ihrer Ziele, den Hochschulen die eigenverantwortliche Gestaltung der Studiengänge zu ermöglichen. Doch weder wurden die Universitäten mit zusätzlichen finanziellen oder personellen Mitteln zur Umsetzung der schwierigen Reformen ausgestattet, noch wurden sie adäquat und kompetent über die Ziele und Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der groben Vorgaben „Modularisierung“, „Bachelor/Master“, „Kreditpunktesystem“ informiert. Freilich haben sich zahlreiche Hochschullehrer bei der eigenständigen Information über die Veränderungen und Vorgaben auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Doch vielfach war (und ist!) die Regel- bzw. Vorgabenverwirrung so gewaltig, dass auch jeder, der sich mit der Materie zu befassen versucht, beinahe zwangsläufig an den Rand des Wahnsinns geraten muss – einige Verwirrspiele seien hier beispielhaft umrissen:

Die Kultusministerkonferenz beschließt ländergemeinsame Strukturvorgaben für Bachelor- und Masterstudiengänge. Die Landesregierung erlassen Verordnungen zur zeitlichen und strukturellen Ausgestaltung des Bologna-Prozesses (insofern irrt Frau Schavan übrigen vollends, wenn sie sagt, es gebe keine politischen Eingriffe mehr). Der Akkreditierungsrat, zur Akkreditierung und Koordinierung von Akkreditierungsagenturen beauftragt, erlässt Kriterien für die Akkreditierung von Studiengängen. Die Akkreditierungsagenturen, für die Genehmigung von Studiengängen zuständig, erlassen je eigene Kriterien und Vorgaben die die Vorgaben des Akkreditierungsrats teils ergänzen. Die Hochschulzentralverwaltung beschließt in den Mühlen der universitären Selbstverwaltung Rahmenordnungen für die Fakultäten bzw. Fachbereiche. So weit, so gut. Der Witz an der Sache ist, dass diese Prozesse im schlimmsten Falle recht unabhängig nebeneinander herlaufen, und im besten Fall in langwierigen Rückkoppelungsprozessen grob aufeinander abgestimmt werden. Die einzelnen Fachbereiche bzw. Institute basteln derweil parallel, da der Landesminister beschlossen hat, dass alle Studiengänge bis morgen früh umgestellt sein müssen, an ihren eigenen Studienprogrammen und Prüfungsordnungen und stehen (freilich ohne zusätzliche Zeit-, Personal- oder Geldmittel) in der Pflicht, sich alle notwendigen Daten aus dem unübersehbaren Wirrwarr der Vorgaben herauszufiltern. Herzlichen Glückwunsch zur Autonomie!

Frau Ministerin, es ist eine Frechheit, ja zynisch, bei dieser Sachlage den Hochschulen, den Studierenden und denen, die sich für eine gut ausfinanzierte, umfassende Bildung einsetzen den alleinigen schwarzen Peter für all das, was im deutschen Bildungssystem falsch läuft, zuzuschieben. Sie haben seit geraumer Zeit politische Verantwortung an herausragender Stelle. Beginnen Sie endlich, sie wahrzunehmen. Und zwar sinnvoll!

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