Deutschland hat gewählt

Und zwar anders als ich es mir erwünscht habe, das gebe ich ganz offen zu. Union und FDP haben durch eine klare Mehrheit der Mandate im Parlament einen klaren Regierungsauftrag. Linke und Grüne haben prozentual gewonnen, die SPD hingegen ist eingekracht. Elf Prozent Verlust, das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte, ein Drittel ihrer Abgeordneten verliert die Sozialdemokratische Partei. Insbesondere ans Lager der Nichtwähler hat sie SPD verloren – offenbar hat sie mit ihren Ideen und Konzepten nicht überzeugen können. Das ist das Tragische. Ohne Wählerschelte betreiben zu wollen, denn die Entscheidung des Souveräns sollte jeder Demokrat respektieren, darf es aber doch erheblich wundern, dass die Partei, die mit dem klarsten Deutschlandplan wahlgekämpft hat, abgestraft wurde. Diejenigen hingegen, die gesellschafts- und wirtschaftspolitisch ohne jedes Konzept und ansonsten mit aberwitzigen Steuersenkungsversprechen durch die Lande zogen, haben gewonnen. Das Schizophrene dabei: Selbst die, die CDU, CSU und FDP gewählt haben, glauben diesen nicht hinsichtlich ihrer Entlastungsankündigungen. Sei’s drum. Ich wünsche nun der absehbar schwarz-gelben Regierung eine glückliche Hand.

Der SPD hingegen sei mehr gewünscht. Erstens muss sie nun – in Ruhe und mit Umsicht – die Gelegenheit zur personellen Erneuerung nutzen. Frank Walter Steinmeier sollte Fraktionsvorsitzender und damit Oppositionsführer werden, denn er vermittelt die notwendige Balance aus ökonomischer, sozialer und ökologischer Vernunft glaubwürdig. Fehler der Vergangenheit müssen allerdings auch von ihm eingestanden und ausgeglichen werden, was im übrigen nicht heißt, im Grundsatz richtige Reformen wieder zurückzukurbeln. An der Parteispitze muss es zweifelsohne Veränderungen geben, doch rate ich auch hier zu einem Ausgleich aus vernünftiger Kontinuität und jugendlichem Engagement.

Zweitens muss sich die SPD neuen Koalitionsoptionen in Richtung Linke öffnen, denn sonst verbaut sie sich dauerhaft ihre Machtperspektive. Voraussetzung dafür ist freilich, dass auch die Linke in vielen Fragen zunächst in der Realität ankommen muss, sei es außenpolitisch, wirtschafts- oder finanzpolitisch.

Drittens aber sei der SPD gewünscht, dass sie sich besinnt auf ihre Aufgabe als große, stolze, linke Volkspartei: Politik zu machen für alle Schichten der Gesellschaft, vom Arbeitslosen bis zur Unternehmerin, von der Alleinerziehenden bis zum Hochschulprofessor, vom Arbeiter bis zur Studentin. Dabei muss sie sich vom roten Faden der Gerechtigkeit leiten lassen. Und hierbei muss sie es schaffen, Gerechtigkeit lokal wie global, für die Gegenwart wie für die Zukunft zu denken und entsprechend zu handeln. Nur das kann sie langristig wieder zu neuer Stärke führen. Die SPD muss die Kraft der Integration von ökonomischer Vernunft und sozialer Balance bleiben, ganz im Sinne ihrer Grundsätze Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Und wo sie es nicht mehr ist, muss sie es wieder werden. Denn die SPD wird gebraucht – für Deutschlands Zukunft.

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5 Kommentare

  1. Hallo Christian,

    nach langer Zeit melde ich mich mal wieder aus der Versenkung – und der Schule, aber das ist ein anderes Thema. Anders als Du vielleicht glaubst, ist dieser Post vollkommen ohne Häme, Witz und Ironie, denn wie um alles in der Welt sollte ich die Tatsache, dass man Sigmar Gabriel zum SPD-Vorsitzenden machen möchte, durch verbale Ergüsse toppen können. Ich hielt es gestern zunächst für einen Scherz, doch es stellt sich nun heraus, dass tatsächlich das letzte Aufgebot ans Ruder soll.
    „Sigmar Gabriel hat Regierungserfahrung und steht dennoch für eine junge, neue SPD. Er wäre ein Parteivorsitzender mit hohem Hinguck-Faktor“ – ein solcher Satz, im Original übrigens von einem SPD-Bundestagsabgeordneten, wäre mir selbst im ironischsten Suff nicht aus der Feder geflossen.
    Schade nur um Peer Steinbrück, der war von Natur aus witzig. Jetzt werden Polemik und Populismus das Regiment übernehmen und ich kann mir voller Aufrichtigkeit sagen: Ich freue mich drauf. Wir werden ab November immer etwas zu Lachen haben.

  2. .. man verzeihe mir die Rechtschreibfehler, ich war etwas in Eile. Nur noch ein Link zur Erheiterung des gebeutelten SPD-Gemüts:

    http://www.welt.de/politik/bundestagswahl/article4669870/Sigmar-Gabriel-soll-die-SPD-aus-der-Krise-fuehren.html?page=18#article_readcomments

    Je weiter man nach hinten blättert, umso witziger werden die Kommentare. Hier meine drei Favourites:

    “Wahrscheinlich hatte man die Wahl zwischen Gabriel und dem Pförtner und hat dann eine Münze geworfen.”

    “Über Genscher hatten sie früher Witze gemacht, der säße so viel im Flugzeug, dass er sich unterwegs noch mal selbst begegnet. Über den für seinen blindwütigen Aktionismus berüchtigten Gabriel werden sie dann bald sagen, der würde so oft die Meinung wechseln, dass er in einer Talk-Show alle Gäste gleichzeitig sein kann.”

    “Ich hätte gerne einen Kommentar von Helmut Schmidt dazu gehört.
    Aber er äußert sich ja nicht zu tagespolitischen Themen.
    Nun weiss ich auch warum nicht.”

  3. Frau Kollegin! Welche Freude, von Ihnen zu lesen! Zu Ihrem Eintrag vorweg: Jeder CDU-Unterstützerin sei alle Häme und alle Genugtuung über das katastrophale Abschneiden der SPD gegönnt, auch wenn ich zum einen zu bedenken gebe, dass selbst Unionsgranden wie Edmund Stoiber und Kurt Biedenkopf ehrliches (!) und gut begründetes Bedauern über den Einbruch der Volkspartei SPD geäußert haben. Zum anderen weise ich darauf hin, dass die Union nicht nur keinerlei Inhalte im Wahlangebot hatte, sondern auch prozentual und absolut verloren hat im Vergleich zur letzten Wahl – die CSU verzeichnet gar das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit! Dass sie trotzdem mit einem Zuwachs an Mandaten belohnt werden, halte ich demokratie-systemtechnisch für höchst fragwürdig, wenn nicht gar aberwitzig.
    Und zum dritten amüsieren mich freilich die Zitate zu Sigmar Gabriel aus dem neutralsten und seriösesten deutschen Presseorgan (Die WELT). Doch sei’s drum: Ich verweise darauf, dass (a) Du im persönlichen Gespräch mit mir der jetzigen Kanzlerin so ziemlich jegliche Kompetenz absprachst, als sie seinerzeit Generalsekretärin und danach CDU-Vorsitzende wurde, und dass (b) ich – ganz unabhängig davon, ob Siggi nun Parteivorsitzender wird oder nicht – ich gespannt bin, ob sich unser Antiatom- und Umwelterzengel Gabriel nicht doch als findiger Kopf und gleichsam rhetorisches Talent entpuppen wird. Als Minister hat er so manchen seiner Unions-Kollegen, von Schavan über Aigner bis Jung, jedenfalls gnadenlos in den Schatten gestellt. Warten wir’s also mal ab, ob er tatsächlich SPD-Chef wird und wie er sich im Falle dessen macht…

  4. Nun, nun, wie man an Frau Merkel sieht, wächst jeder mit seinen Aufgaben. Aber wo soll das Wachsen bei Gabriel noch hinführen??? An der Tatsache allerdings, dass ich noch immer Friedrich Merz nachtrauere, hat sich in den letzten Jahren noch immer nichts geändert. Aber es nützt nichts, über verschüttete Milch zu klagen.
    Ich bin sogar bereit, das Abschneiden der SPD ehrlich zu bedauern, denn Politik wird erst durch den gegenseitigen Wettbewerb mit ernstzunehmenden (und spätestens hier haben sich die Linken ja endgültig disqualifiziert) Gegnern noch interessanter. Dass Genosse Gabriel rhetorische Qualifikationen vozuweisen hat, wird auch von mir nicht bestritten. Aber die Grenze zum Populismus ist auch hier im Eifer schnell mal überschritten. So nach dem Motto “gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir schon einen entscheidenden Schritt weiter…”, nicht erst dann wird es mit dem Herren wohl kritisch. Und auch dass er den einen oder anderen Mit-Minister wie Du es schreibst “in den Schatten stellt” ist angesichts seines Ausmaßes kaum zu vermeiden. Der “Hinguck-Faktor”, den ihm ein Genosse attestierte, ist wohl eher ein “schlecht-dran-vorbeiguck-Faktor”.
    Das CDU-Ergebnis indes muss man nicht kommentieren, gut ist was anderes, aber seis drum. Beim 100-Meter-Sprint kannst Du auch zwei Minuten brauchen, wenn der nächste noch länger unterwegs ist, hast du eben gewonnen. Und seit der Hessen-Wahl wissen wir doch alle, dass eben am Ende derjenige gewinnt, der die meisten Stimmen holt und nicht der, der am meisten dazugewinnt. Das ist nun mal Demokratie, so what?
    Irgendwie freue ich mich aber sogar ein bisschen auf Gabriel, unterhaltsamer als Münte wird er auf alle Fälle sein, wenn auch ohne den schönen Dialekt.
    Und noch ein Wort zu den Kommentaren: auch in den eher “linken” Medien wird Gabriel mitnichten als großer Retter der SPD angesehen. Vielleicht hätte man besser den Pförtner genommen, ohne erst die Münze zu werfen 😉

    Aber zu Frau Nahles kam Deinerseits noch kein Kommentar. Warum? Hierzu nur einen Satz, mit dem mein Vater diese Idee kommentierte: “Nee, die kann man ja nun mit aller Gewalt nicht wählen.” (er meinte damit übrigens Nahles UND die SPD) Und das von einem Mann, dessen Zweitstimme bekanntermaßen bisher immer eine sichere sozialdemokratische war.

    Ich freue mich auf Kommentare, gerne auch per Mail.

    P.S.: Frau Nahles hat ihren Wahlkreis übrigens wieder nicht gewonnen. 24,9 % bei den Erststimmen, immerhin ein Minus von mehr als 11 %, das Zweitstimmenergebnis ist mit 21,8% näher an der FDP (18,9%) als an jeder anderen Partei. Und ihr Gegner war übrigens nicht mehr Herr Sebastian, der schon seit Menschengedenken im Bundestag sitzt und seinerzeit noch Helmut Kohl zum Kanzler wählen durfte, sondern Mechthild Heil, die dort zum ersten Mal antrat.

  5. P.P.S.: Es wird dir nicht gelingen, mich dazu zu bringen, die Worte “Sigmar Gabriel” und noch zwei andere in einem Satz unterzubringen. Diese lauten “findiger Kopf”. Dann rühme ich in bemühter Ernsthaftigkeit doch eher dessen “Erfolge” in Niedersachsen (selbst der Wulff konnte mal gewinnen) oder seine “Jugendlichkeit”, schließlich könnte der gute Mann ganz locker unser Vater sein, und so ganz taufrisch sind selbst wir nicht mehr.
    Ich sehe schon, Politik macht wieder “Spaß”.

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