Ohren offen!

Die SPD veranstaltet im Vorfeld der im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahl, speziell zur Vorbereitung des Regierungsprogramms, einen "Bürger-Dialog", an dem alle Mitbürgerinnen und Mitbürger teilzunehmen eingeladen sind. Auftaktveranstaltungen gab es heute deutschlandweit allenthalben, so auch in der Mainmetropole Frankfurt, hier mit einem der derzeitigen wichtigsten sozialdemokratischen Schlachtrösser – Ex-Finanzminister und Ministerpräsident Peer Steinbrück.

Leider kam ich etwas zu spät zur zweiten Veranstaltung am heutigen Montag, doch angesichts der nicht gerade in Massen in und um ein(em) Pavillon-Zelt an der Hauptwache sich tummelnden Dialogschar war dies kein Problem, und so lauschte ich den Antworten des Troika-Mitglieds Steinbrück, dem nach einigen weiteren Minuten der Verspätung der Frankfurter OB Peter Feldmann zur moralischen und verbalen Unterstützung eilte. Etwas zäh verlief das Vortrag-Frage-Antwort-Spiel zunächst, keiner traute sich so recht, und die zahlreichen Fernseh- und Pressekameras waren der Dialog-Atmosphäre ebenfalls nicht gerade förderlich. Nachdem aber der offizielle Teil mehr oder weniger beendet war und sowohl Medien als auch Moderatorin und OB bereits ihrer Wege gezogen waren, begann dann doch noch ein recht intensives Gespräch, auf welches Steinbrück sich bereitwillig einließ.

Steinbrück dialogbereit

Der Politprofi hörte sich die Fragen aufmerksam an, antwortete klar und deutlich, ohne sich jedoch verbiegen zu lassen – sei es bei Rente, Steuer oder Bildung. Die Vermögenssteuer beispielsweise könne man schnell mal per Parteitagsbeschluss fordern (und die Forderung unterstütze er im Prinzip auch), doch bei der Umsetzung liege der Teufel eben im Detail! Bildung sei eine der Kernfragen nach wie vor und wohl auch absehbar weiterhin, und das Föderalismus-Elend oder die schwarz-gelbe Herdprämiendebatte seien nun wirklich kontraproduktiv.

Klare Sprache

Anderen Vorschlägen, die Steinbrück (und wohl auch der Mehrheit der Anwesenden) gegen den Strich gingen, erteilte er eine klare Absage, so z.B. dem Vorschlag nach einer Reduktion der Flug-Steuer. "Quatsch – fahren Sie mit der Bahn!" Es sei doch aberwitzig, für 19 Euro nach Malle zu fliegen! Wenn die Politik die Möglichkeit hätte, länderübergreifend eine höhere Besteuerung von Flugbenzin durchzusetzen, wäre er sofort dabei. Beispiel Patientensicherheitsgesetz (?): "Hab ich keine Ahnung von – und bevor ich dazu irgend einen Blödsinn verzapfe, lasse ich’s lieber gleich."

Bei komplexen Fragen, z.B. nach der gewaltigen Herausforderung des Fertigwerdens mit zweibillionenschweren Staatsschuldenlast, gelang Steinbrück indes die Balance, das Thema nicht mit einem Allgemeinplatz abzuwürgen, sondern durchaus differenziert zu antworten, doch das sehr gemischte Publikum gleichsam nicht zu überfordern. Seine Antwort hierzu belief sich darauf, dass es uns zunächst einmal gelingen müsse, keine neuen Schulden zu machen (die Fußnote, dass bei einem Ausbleiben der 2008/9er Finanzkrise er selbst es gewesen wäre, der den ersten ausgeglichenen Haushalt seit einem Finanzminister Strauß im Jahre 1969 vorgelegt hätte, durfte freilich nicht fehlen). Und neben der Schuldenvermeidung müsse gleichzeitig ein Wachstumsaufwuchs (ergo Steueraufwuchs) gelingen, wodurch die Schuldenquote (insbesondere die Zinsquote) peu à peu verringert werden könne, was neue Investitionsspielräume eröffnen würde. Gefordert von Nachfragen, die über die Standardlitanei des Polit-Talks und der (durchaus berechtigten!) Anliegen des „kleinen Mannes“ hinausgehen, zeigte sich Steinbrück hellwach und höchst interessiert. So etwa beim mir geäußerten Einwand, die Generierung ebenjenes Wachstums sei ja nun mal nicht gerade trivial – bei wachsendem globalen Wettbewerb mit anderen aufstrebenden Nationen und bei der immer wichtiger werdenden Berücksichtigung von Fragen der Nachhaltigkeit u.ä. Hier entgegnete der Finanz-Fachmann nicht bloß mit Standard-Antworten (Investition in Forschung und Entwicklung), sondern hinterfragt auch unseren "aberwitzigen" Wachstumsbegriff, der eben daran kranke, dass sich Qualität oftmals schlecht quantitativ abbilden lasse (vgl. hierzu auch meinen Beitrag zum Thema aus dem Jahre 2009).

Fazit

Der SPD-Bürger-Dialog ist eine gute Idee. Selbst wenn keine glorreichen neuen, über bewährtes hinausgehenden Ideen entstehen sollten, ist es gut, das Zusammenkommen von Spitzenpolitikern mit der Wahlbevölkerung (über die klassischen Straßen- und Platz-Reden hinaus) zu organisieren, ja zu forcieren – denn beide Dialogpartner profitieren davon. Eine finale Bewertung steht natürlich erst am Ende der Aktion aus, und es bleibt abzuwarten, was hinten rauskommt. Doch abgesehen davon: Peer Steinbrück ist dieser Bürger-Dialog geglückt. Er geht auf die Menschen zu, hört ihre Anliegen an, nimmt sie ernst, beantwortet geduldig die Fragen, und selbst wenn sie zum 2700sten Mal kommen. Daneben hat er auch heute wieder vielfach die Tatsache untermauert, dass er in Fach- und Redekompetenz fast sämtlich die politische Klasse Berlins (zumal das gesamte Bundeskabinett) vollkommen in den Schatten stellt. Doch was ihn besonders auszeichnet: Er lässt sich nicht verbiegen – wenn er eine begründete (!) Überzeugung hat, gibt er diese nicht dem Druck von Partei oder nervend fragender Bürger preis. Rückgrat nennt man das – eine Eigenschaft, die so manchem Berliner Politprofi zu fehlen scheint und die von den Eigenschaften für einen potentiellen Kanzler nicht die schlechteste ist.

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1 Kommentar

  1. Dein Beitrag macht mir den Herrn Steinbrück, den ich eigentlich für nicht sehr sympathisch und fähig halte die Geschicke zu lenken, gleich ein wenig sympathischer und so weiter.

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