WAS, AHLEWOSCHT IST METTWURST?

Wurstwelten – Ein Gastbeitrag von Sofia Egerton

Mein Blogwursteintrag und insbesondere der dazugehörige ZEIT-Artikel hat doch tatsächlich emotionale Bewegungen entfacht, die ihresgleichen suchen. Diese in Worten auszudrücken hat sich Sofia, die geschätzte Freundin meiner geschätzten Ex-Mitbewohnerin Constanze gleich daran gemacht, und so freue ich mich, in diesem Sinne den ersten Gastbeitrag auf diesem meinem Blog veröffentlichen zu können. Ich sage nur soviel: Ihn zu lesen lohnt sich, nicht nur aus kulinarischen, sondern auch aus literarischen und humoresken Gründen!

Ach, der hervorragende Beitrag in der ZEIT über die hessische Ahlewoscht löste einen Sturm der Gefühle in mir aus. Das Wurst-Dreieck Thüringen, Hessen und Niedersachsen, hieß es da, biete die spektakulärsten Mettwurstkreationen Deutschlands, und bei einer ostdeutschen Variante wurde gar vermutet, es handele sich dabei um die beste Mettwurst der Welt. Schön und gut, das sind erfreuliche Nachrichten. Auch dass die richtige Saison für die Mettherstellung der Herbst ist, mag hingehen. Das Wurstjahr, so hieß es, beginne nicht, bevor der letzte faulige Apfel von den Wiesen geklaubt und zur Mosterei gebracht worden sei. Ja, so manches Glück beginnt erst im Herbst, dachte ich zufrieden, warum nicht auch die Zeit der guten Wurst. Als ich allerdings lesen musste, dass die viel besungene, in Marburger Studentenkreisen mit dem Mythos perfekten Wursttums umrankte Ahlewoscht, die nie einer meiner Freunde wirklich bewusst gesehen, von der aber alle auf vielfältige Weise gehört hatten, dass diese Ahlewoscht nichts anderes als Mettwurst sein sollte, ja, das war ein Schlag.

Ahlewoscht bloß poplige Mettwurst? Ja ich glaub es hackt. Mir war immer so, als verberge sich hinter Ahlewoscht eine viel romantischere Wurstform als grobes Bauernmett. Ich verband mit Ahlewoscht geblümtes Teeservice und Ladycake. Natürlich auf wurstkompatiblem Niveau. Vor meinem inneren Auge tänzelten junge Ahlewoschtlerinnen in hessischer Bauerntradition, womöglich in Schwälmer Tracht, lieblich singend um einen großen Schlachtereisack, der dringend der Kühlung bedurft hätte, und formten mit zarten weißen Händchen Blüten der Wurstkunst. Auch gemahnte mich Ahlewoscht eher an Frühling als an Herbst. Mett ist Herbst, ganz klar. Alte Metzgermatronen kneten wuchtig Wurstteig, dass ihnen der salzige Schweiß über die Kinnwarzen läuft, voll rein ins gute Mettgemenge, wodurch erst die angestrebte Würze entsteht. Im Hintergrund lösen unterdessen alte schrundige Schlachtergesellen, die Einlegesohlen gegen ihre gichtigen Fußprobleme sind vom Schweiß der überbeanspruchten Gehwerkzeuge schon ganz durchnässt, gekonnt Schweine in ihre Koteletts, Obernüsse und Filets Mignons auf, trennen ab, was zu Sülze verarbeitet werden kann, und schwingen das Beil über Keule und Nacken. Krach knack knirsch, wieder ein zehn Zentimeter dicker Oberschenkelhals zersplittert. Ja, so ist Mett. So geht Mett. So lebt man Mettwurstkunst. Es gibt sogar Schlachtermeister, die in eine Art Schlachtrausch kommen, das sind die besonders begabten. Man spricht dann von Wurstwut.

Aber Ahlewoscht? Die Ahlwoscht meiner Träume war weder mit Knochenbrüchen noch mit Axtschwingen verbunden. Niemals rann Schweiß, Warzen am Kinn waren tabu, und die Grundsubstanz dieser edlen Wurst schien mir niedlichstes Häschenhack zu sein. Nur unglaublich süße Pelztiere, deren Fell man zu Muffs weiterverarbeiten kann, waren in meinen Träumen angemessen für Ahlewoscht, und muskulär gut ausgestattete Jünglinge in Balletthosen mit ausgestopfter Vorderfront, mit Blumen im Haar und Schmetterlingen auf den prallen Hinterbacken, sangen und tanzten diese niedlichen Nahrungsspender in den Schlaf. Waren diese vor Langeweile endlich eingeschlummert, so kamen einige schock Lilien bekränzter Jungfrauen, pro Schlachtgut Stücker sieben, und schläferten die bereits entschlummerten endgültig ein. Dabei ist wichtig, dass alle Liliengekrönten ausgebildete Krankenschwestern waren, die genau wussten, wie man mit der Nadel umgeht. Außerdem hatte nur eine anonyme Person wirklich Einschläferlikör in der Kanüle, alle anderen spritzten Happypulver mit Traubenzucker.

Sodann senkt sich ein luftiger Vorhang über die Szene. Die Verarbeitung der flauschigen Pelzhüllen unserer Fleischlieferanten zu politisch unkorrekten Accessoires wird vollständig ausgeblendet, und der Träumer verharrt in innerem Frieden, da er zu wissen glaubt, dass die Fellchen auf mirakulöse Weise der dritten Welt zu Gute kommen oder helfen, das Klima zu schützen. Wenn sich der Vorhang wieder hebt, sieht man oben erwähntes Schaubild: Hessische Bauerndirnen umtanzen den Schlachtereisack und formen zarte Wurstgebilde.

Tja. Die Realität sieht wohl anders aus. Ahlewoscht ist schlichtes Warzenmett. Die Spender der Grundsubstanz sind mit Tiermehl zum Wahnsinn gefüttertes Mastvieh, deren Scharfrichter grindige Knastbrüder, und die Wurstmaschinen werden von an Bluthochdruck leidenden Wursttyranninnen bedient, die ihr Fischbeinkorsett über den nächsten Schlachterhaken geworfen haben, da ihr eigenes massiges Gewebe bei der anstrengenden Wurstarbeit Raum zur Entfaltung braucht. Keine der Wurstfachkräfte, weder weiblicher noch männlicher Grundausstattung, wird jemals eine angemessene Lautstärke beim Gespräch einhalten können. Unter Lärm, Geschrei und groben Scherzen werden die Würste in den Darm gezwungen. Ach ich könnte weinen über das verlorene Paradies der Ahlewoscht. Oft ist Unwissenheit doch besser als die brutale Wahrheit. Und da die Welt nachweislich so eine schlimme Lokation ist, wo viel Übles passiert, möchte ich ausrufen: Der Abend senkt sich über das Land, bald schon ist es dunkel. Die Welt ist ein finstrer Ort. Wissen Sie, wo ihre Wurst sich im Moment befindet? Wissen Sie, wo Ihre Wurst heute übernachtet?

Ich wünsche ein gelungenes Wurstjahr (hat ja grade erst angefangen, na Gott sei Dank)!

Sofia

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1 Kommentar

  1. “Spender der Grundsubstanz sind mit Tiermehl zum Wahnsinn gefüttertes Mastvieh”

    Das mag wohl für die Ahle Woscht gelten, doch sicher nicht für den im selbigen Artikel hochgelobten Feldgieker, dessen Verkostung die verloren geglaubten Wurstträume schnell zurückkehren ließe…

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