Nicht der große Wulff

In den Umfragen sinken die Kompetenzwerte des Bundespräsidenten hinter die von Guido Westerwelle. Das Maß ist voll. Herr Wulff, erlösen Sie uns!

Seit Wochen (gefühlt eher Monaten) erfreut sich die deutsche Medienöffentlichkeit vor allem an einem Thema: Den Leiden des Bundespräsidenten. Die gemeine Journallie hetzt den armen Wulff, auf dass seinen Schafspelz zu verlieren droht. Nicht ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Bobbycar durchs Dorf gerollt, ein neuer Kredit verspielt, ein alter Hut in neue Skandalschläuche verpresst wird.

Nach seiner Wahl dachte ich, wie viele andere auch: Hm, der große Wulff ist es nicht, aber auch nicht der Super-Gauck. Oder mit anderen Worten: Geben wir dem Mann mal ‘ne Chance. Und ja, ganz offen gestanden habe ich, als das Theater losging, auch gedacht: "Herrschaften, nun lasst ihn doch in Ruh’." Einen billigen Kredit in Anspruch genommen? Schwamm drüber. Dem Landtag dazu die vollständige Sachlage vorenthalten? Fehler machen auch Politiker mal. Ein Flug-Upgrade von der Holz- in die Businessklasse akzeptiert? Wer würde sich darüber nicht freuen. Die Mailbox-Nachricht beim Bild-Chefredakteur? Im emotionalen Affekt in der Hitze Arabiens wortgewordene Blödheit.

Und auch all die geschenkten Bobbycars, unentgeltlich geliehenen Kleider, Urlaube in den Gästezimmern (oder eher Gäste-Villen) von Freunden: Sie sind mir egal. Oder nein, inzwischen sage ich: Sie wären mir egal.

Wenn sie sich einerseits auf Einzelfälle bzw. –ereignisse reduzieren ließen. Doch inzwischen ist klar, dass all die Geschenke und Vergünstigungen sich zu einer nicht enden wollenden Serie von Mitnahmeeffekten aufaddieren, so dass die Grenzen des Anstands eindeutig überschritten sind.  Und wenn sich andererseits zu alldem nicht ein massiver Vertrauensverlust gesellen würde, gepaart mit einer starken Tendenz zur Unredlichkeit. Die mutmaßlichen Machenschaften seines Ex-Sprechers und -Vertrauten Glaeseker sprechen da wahrscheinlich für sich – wie’s Gescherr, so halt auch der Herr.

Aber was entscheidend ist, und da bin ich inzwischen einig mit vielen anderen klugen Menschen, die dies schon vorher zu Protokoll gaben: Das deutsche Staatsoberhaupt hat keine operative Macht, sondern nur die Macht des Wortes. Wulff hat sie gar bereits durchaus erfolgreich zu nutzen begonnen: mit seinem Bekenntnis, der Islam gehöre zu Deutschland, bei seiner Reise nach Israel, bei der Ansprache zur Begrüßung des Papstes in Berlin. Doch damit sich die Macht des Wortes entfalten kann, bedarf es eines besonders hohen Maßes an Glaubwürdigkeit und Redlichkeit.

Die Kombination aus Salami-Informationstaktik, beknackten Telefonanrufen, sich andeutender Unehrlichkeit gegenüber Parlament und Bevölkerung, deutlich mangelnder Distanz zu sagen wir mal Einfluss auf politische Entscheidungsträger nicht gerade vermeiden wollenden Gestalten (Maschmeyer und Co.) und manchem mehr haben Christian Wulff für das Amt des Bundespräsidenten disqualifiziert. Denn all diese Dinge zeugen davon, dass er den Ansprüchen von Glaubwürdigkeit und Redlichkeit nicht gerecht wird.

Dass in repräsentativen Umfragen nur noch 22 Prozent der Bevölkerung denken, Wulff sei glaubwürdig, und weniger als ein Sechstel der Befragten Ehrlichkeit für eine Qualität des amtierenden Bundespräsidenten halten, spricht da für sich. Ebenso die Tatsache, dass er in der Kompetenzbewertung hinter den schlechtesten Außenminister aller Zeiten rutscht.

Politiker, auch Staatsoberhäupter, dürfen Fehler machen. Aber irgendwann ist das Maß voll. Er hat seine Chance gehabt – und hat sie verspielt.

Und was mich besonders ärgert: Es gibt wahrlich wichtigere Themen als dieses Elend vom Schloss Bellevue! Der mit dem Klimawandel verbundene nötige Mentalitätswandel, die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft, die nach wie vor vollkommen vernachlässigte Bildungsfrage, die Integrationsproblematik, die Euro-Solidarität, die globale Gerechtigkeitsfrage… Alles Themen, zu denen ich vom deutschen Präsidenten zumindest ein paar Leitgedanken hören würde. Aber wie soll das denn bitte noch gehen. Wer ihm noch zuhört, kann ihn doch nicht mehr ernstnehmen!

Ich halte es daher ganz mit Renate Künast: Herr Bundespräsident, erlösen Sie uns!

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