Deutsche Fußtritte für Menschenrechte

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in einem bemerkenswerten Urteil festgestellt, dass der UN-Sozialpakt, der als völkerrechtlicher Vertrag im Jahr 1973 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde und somit den Rang eines Bundesgesetzes erhielt, "weder darauf angelegt noch geeignet [sei], innerstaatlich als unmittelbar geltendes Recht angewandt zu werden." Zugespitzt übersetzt bedeutet dies: Die von Deutschland unterschriebenen Menschenrechte sind Absichtserklärungshülsen, die letztlich keine juristische Verwertbarkeit besitzen.

Da frage ich mich: Wo leben wir eigentlich?

Es fällt mir schwer, zu einem sachlichen Ton zu finden, wenn ich mir überlege, was ein deutsches Oberverwaltungsgericht hier hat verlautbaren lassen. Ich bin versucht, zu polemisieren: Warum kritisiert Deutschland die blutige Dschungeljunta in Myanmar, wenn selbst deutsche Richter – von der Politik ganz zu schweigen – die Menschenrechte mit Füßen treten!? "Schaut nicht nach Rangun, sondern nach Wiesbaden, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München, Stuttgart und Saarbrücken, und nun nach Münster! – Da sitzen die deutschen Menschenrechtsverletzer!", so könnte ich ausrufen. Doch geziemt es sich, hier vorsichtig zu unterscheiden – gibt es doch, das wird jeder zu Recht einwenden, einen mehr als drastischen Dimensionsunterschied, wenn wir einerseits über die schwarz(gelben) Studiengebührenverordner in den deutschen Landeshauptstädten sprechen und andererseits über die schrecklichen birmanischen Gewaltmachthaber, die friedliche Mönche zusammenknüppeln, verhaften und umbringen. So will ich denn bei aller Empörung über die deutsche Bildungspolitik die demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Deutschlands sicher nicht in eine Reihe stellen mit den Dschungelgenerälen.

Also versuche ich kurz darzustellen, worum es hier in Deutschland geht und bewerte dies dann fokussiert zu bewerten versuchen.

Was ist passiert? In Deutschland gibt es seit einiger Zeit in verschiedenen Bundesländern Studiengebühren. Seit noch längerer Zeit gibt es – weltweit, versteht sich, den "Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" (kurz UN-Sozialpakt). Dieser wurde am 19. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet. Anschließend wurde er von 156 Staaten ratifiziert, so auch von der Bundesrepublik Deutschland, innerhalb derer auch alle Bundesländer diesem Vertrag zugestimmt haben. In Deutschland ist der Vertrag somit in den Rang eines formellen Bundesgesetzes erhoben worden. Nun besagt Artikel 13 (2) des UN-Sozialpaktes folgendes: "Die Vertragsstaaten erkennen an, dass […] (c) der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss."

Jedem findigen Kopf sollte gleich einleuchten, dass die derzeitige Tendenz in der deutschen Hochschulpolitik genau das Gegenteil zeigt, namentlich die allmähliche Einführung der Entgeltlichkeit für den Hochschulunterricht. Aus diesem Grund sollte eigentlich jedem verfassungstreuen Bürger der Griff zum deutschen Grundgesetz einfallen, welches dazu aufruft, bei der Einschränkung von Grund- oder Menschenrechten durch andere (z.B. Studiengebühren-) Gesetze den Rechtsweg zu beschreiten. Letzteres hat die Studierendenschaft der Paderborner Universität getan, mit dem Ergebnis des besagten Münsteraner Richterspruchs.

Wir halten zusammenfassend fest:

  1. Diverse deutsche Landesregierungen bzw. die Mehrheiten ihrer Landesparlamente beschließen Gesetze, die dem im UN-Sozialpakt verbrieften und folglich durch deutsches Bundesrecht garantierten Recht auf unentgeltliche Hochschulbildung klar widersprechen.

  2. Ein deutsches Oberverwaltungsgericht sieht hierin kein Problem, schließlich sei "die Vertragsbestimmung weder darauf angelegt noch geeignet, innerstaatlich als unmittelbar geltendes Recht angewandt zu werden. Auch sei das Land Nordrhein-Westfalen nicht verpflichtet gewesen, mit Rücksicht auf etwaige sich aus den Vertragsbestimmungen ergebende Verpflichtungen des Bundes von der Einführung von Studienbeiträgen abzusehen."

Und nun frage ich noch einmal: Wo leben wir eigentlich?

Leben wir in einem Land, dessen Politiker und Richter die Menschenrechte achten, so z.B. das Recht auf Bildung? Dessen Politiker und Richter für die Einhaltung Deutschlands internationaler vertraglicher Verpflichtungen Sorge tragen? Dessen Politiker und Richter sich an die Verfassung gebunden fühlen? Dessen Politiker und Richter die Bundesgesetze einhalten?

Ganz offensichtlich nicht. Offensichtlich haben diverse Wissenschaftsminister, Ministerpräsidenten, Landtagsabgeordnete und Oberverwaltungsgerichtsräte den oben erklärten Zusammenhang zwischen Menschenrechten, internationalen Verträgen, Bundesgesetzen und dem Grundgesetz aus den Augen verloren. Oder aber sie setzen sich sehenden Auges über diesen Zusammenhang hinweg, wissend, dass sie damit in letzter Konsequenz die Menschenrechte mit Füßen treten.

Meine Herren Richter und Politiker, wachen Sie auf! Ich bin kein Jurist und will auch keiner werden, aber ich kann drei oder vier Paragraphen lesen und eins und eins zusammenzählen. Können Sie das nicht? Oder wollen Sie das nicht? Können Sie es nicht, ist dies peinlich und bedauerlich. Wollen Sie es nicht, ist dies ein Skandal. Ein Skandal, dessen sich die deutsche Öffentlichkeit bewusst werden muss.

Die Verhältnisse in Birma sind, dieser Gedanke sei mir abschließend gestattet, in der Dimension nicht mit den deutschen zu vergleichen. Doch schmälert nicht die dargestellte Unfähigkeit der deutschen politischen und – noch schlimmer – auch der juristischen Klasse die Schlagkraft der Argumente, mit denen Deutschland die schlimmen Verhältnisse andernorts kritisiert?

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1 Kommentar

  1. In diesem Zusammenhang auch ehr interessant ein Urteil des Verwaltungsgerichts Giessen von letzter Woche, dass den Eilantrag eines Studierenden gegen die Zahlung der Studiengebühr zwar wegen formeller Fehler zurückwies, gleichzeitig aber darauf hinwies, dass – hoppla – das Hessische Studien”beitrags”gesetz (HStubeiG) eigentlich nicht zwischen wirtschaftliche starken und schwachen Studierenden unterscheide, wie es die Hessische Verfassung fordere… (Aktenzeichen: 3 G 2143/07)

    Wer hat’s gesagt?

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