Grandioses Symphonieerlebnis

 

Nach dem Jubiläumsprojekt des Landesjugendchores Rheinland-Pfalz (LJC) im letzten Oktober (wir berichteten) war es mir in der vergangenen Woche vergönnt, an einem Musikereignis aktiv teilzuhaben, welches in der Reihe von mir miterlebter musikalischer Projekte seinesgleichen sucht. Der LJC war eingeladen, gemeinsam mit dem derzeit auf Welttournee befindlichen Venezolanischen Jugendorchester “Sinfónica de la Juventud Venezolana Simón Bolívar” unter der Leitung des Nachwuchs-Stardirigenten Gustavo Dudamel die Auferstehungssinfonie von Gustav Mahler mitzugestalten – in Konzerten in Ludwigshafen und im Rahmen des Lucerne Festivals, einem der renommiertesten Musikfestspiele der Welt.

Luzern

Zusammen mit dem Chor der Musikhochschule Mannheim sowie den Solistinnen Jane Henschel (Alt) und Janice Watson (Sopran) waren wir an der Ausfüllung des vokalen Parts von Mahlers 2. Sinfonie beteiligt. Der Chorpart erstreckt sich dabei nur auf den 5. Satz und damit die letzten ca. 15 Minuten des Werkes, das schon allein von der Instrumentierung her herkömmliche sinfonische Kost in den Schatten stellt: Das venezolanische Jugendorchester war mit ca. 200 Musikern angereist – darunter 25 Erste Violinen, 14 Kontrabässe, 4 Posaunen, 10 Hörner, “doppeltem Holz”, 2 mal 4 Kesselpauken, großer Trommel, 2 Tamtams, 2 Harfen und Orgel – um einen kleinen quantitativen Eindruck von der mahlerschen Orchestrierung zu geben. Mit unserem etwa 130köpfigen Chor konnten wir da nur begrenzt dagegenhalten. Die Südamerikaner waren u.a. auf Einladung (und, wie wir auch, auf Kosten des BASF-Konzerns) zunächst nach Ludwigshafen angereist, um dort jene Mammut-Sinfonie als Benefizkonzert aufzuführen. Das Orchester ist gewissermaßen die “Creme de la Creme” des in aller Welt hochangesehenen Projektes Venezuelas, jedem Kind – gerade auch aus den darbenden Armutsvierteln – die Erlernung eines Instrumentes zu ermöglichen. Vielen von diesen jungen Instrumentalisten wird durch diese kulturelle und soziale Förderung eine Perspektive gegeben – so hat der überwiegende Teil des Orchesters in der Musik in Form eines Instrumentalstudiums seine Zukunft gefunden. Gustavo Dudamel, der 27jährige Nachwuchsstern am globalen Dirigentenhimmel und bereits als neuer Bernstein gehandelt, ist selbst aus dem Orchester hervorgegangen. Vor etwa 10 Jahren nahm der Geiger sich in einer Probenpause, die ihm zu lang wurde, den Taktstock des Dirigenten und stellte sich an dessen Pult, um die Probe fortzusetzen – der Beginn einer rasanten und überaus steilen Karriere, die ihn bis dato als Chefdirigent nach Göteborg und als Gastdirigent an die Pulte der Spitzenorchester der Welt führte. Im nächsten Jahr übernimmt er die Leitung des Los Angeles Philharmonic Orchestra. Doch die mediale Aufmerksamkeit für seine Person hat offenbar noch nicht negativ auf sein Gemüt abgefärbt – davon durften wir uns überzeugen: Mit einer bescheidenen Herzlichkeit behandelte er sowohl Chor und Solistinnen als auch seine “muchachos” – in der Partynacht nach dem Schweizer Konzert hatte er genau wie wir Spaß in einer verrauchten Luzerner Salsa-Bar und führte uns durch die Nacht von Kneipe zu Kneipe. Doch nicht nur durch Sympathie überzeugte er, sondern auch durch seine musikalische Arbeit, insbesondere mit dem Orchester. Wie oben anhand der Orchestrierung bereits angedeutet, bietet Mahler in seiner zweiten Sinfonie die gesamte Fülle der Klangfarbenpalette auf, um, so könnte man es vielleicht zusammen fassen, den Kampf zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Gott und Teufel, zwischen Hölle und Himmel, zu schildern. Dies manifestiert sich vor allen Dingen im letzten Satz des Werks, in dem das theologische Spannungsfeld die zu allerhöchsten Voltzahlen heraufgedehnt wird. Da sind brodelnde Höllenstrudel, bei dem Celli und Kontrabässe nah am Zerhacken ihrer Instrumente vorbeischrappern, da sind Donnerschläge und Blitze, bei dem Becken und Tamtam ein Fest der metallischen Klangspitzen entfachen und an dem auch schonmal ein Paukenschlägel zerbricht (so geschehen während der Ludwigshafener Aufführung). Da bieten Posaunen, Tuba und Kontrafagott eine schauerliche Strahlkraft auf, die einen geradezu in die Tiefen des Hades hinabgeleiten. Doch wenn nach dem erhabenen, schlichten, beinah heiligen Posaunenchoral sich dann Geigen, Harfen und Hörner im Durklang vereinen, in das Flöten und Trompeten einstimmen, und obendran Triangel, Piccolotriller und Becken anschließen, dann öffnet sich (zumal bei einer so brillianten Akustik wie im Luzerner Festspielhaus) wahrhaftig der Himmel. Ich wage zu mutmaßen, dass Menschen, denen der Glaube an Gott eher fern liegt, hier eine Ahnung eröffnet wird, wie Gott und sein Himmelreich erfahrbar werden können. Das ganze eben unter dem Dirigat Gustavo Dudamels miterleben zu können, der aus dem Orchester wahrlich alles Machbare herausholt – kitzelt, schlägt, sägt, drischt, wringt, streichelt, reibt, hievt, sticht, lockt, der im dritten Satz nur mit den Augenwinkeln die Einsätze gibt, während er sich im Dreivierteltakt in die Musik schmiegt, ist ein Erlebnis besonderer Art, dessen Beschreibung sich hier nur in Andeutungen erschöpfen kann. Dem Chor bleibt es dann überlassen, das vorher rein klanglich Erlebte in Worte zu kleiden: “Was entstanden ist, das muss vergehen, was vergangen, auferstehen”, “Auferstehn, ja auferstehn wirst Du mein Staub nach kurzer Ruh” – aus dem Nichts des a-cappella-Pianissimo kommend und sich steigernd bis zu einer auskomponierten Fortissimo-Ekstase “zu Gott wird es Dich tragen”, in dessen Finale zu allem Überfluss die Orgel einstimmt, so dass ein 350köpfiger Klangkörper im Wahrsten Sinne des Wortes Pauken und Trompeten das Leben nach dem Irdischen beschwören. Wem dies hier zu dick aufgetragen ist, dem kann ich leider auch nicht helfen – außer mit der Empfehlung, sich die Auferstehungssinfonie tatsächlich mit Muße und anhand einer guten Aufnahme zu Gemüte zu führen.
Dank für dieses Musikerlebnis der besonderen Art gebührt der BASF für die finanzielle Unterstützung und logistische Durchführung des Projektes, sowie – von mir persönlich – allen organisatorisch (namentlich nenne ich hier gerne unseren LJC-Gesamtleiter Albrecht Schneider) und musikalisch Mitwirkenden.

Beteilige dich an der Unterhaltung

2 Kommentare

  1. “(…),dass Menschen, denen der Glaube an Gott eher fern liegt, hier eine Ahnung eröffnet wird, wie Gott und sein
    Himmelreich erfahrbar werden können”

    Genauso hab ich das auch empfunden;-)
    Sehr schöner Text.

  2. Wow, jetzt bin ich neidisch. Letztes Jahr im Sommer war ich mit einem Freund für einen Kurzurlaub in London in der Royal Albert Hall (BBC Proms) für ein Mahler Konzert. Frag bitte nicht nach genauen Daten – ich bin ein Klassik-Analphabet 😉 – aber es war wunderschön!

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