Welches Wachstum wollen wir?

Tagaus, tagein verfolgt man derzeit die Krisenberichterstattung in diversen öffentlichen Medien und wird der Hiobsbotschaften über einbrechende Wirtschaftszahlen, womöglich ausbrechende soziale Unruhen, mindestens aber steigende Arbeitslosenzahlen fast schon überdrüssig. Jetzt schon überdrüssig sollte man sein ob der Diskussionen über die Sinnhaftigkeit bereits beschlossener Abwrack- oder Umweltprämien einerseits und ob des Überbietungswettbewerbs für neue Milliardenprogramme andererseits.

Einig sind sich ja alle Protagonisten aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften darüber, dass man alles dafür tun muss, das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP; dies ist die Zahl, an der gemeinhin das Wirtschaftswachstum gemessen wird) bald wieder ins Positive zu drehen. Über die Art des anzusteuernden Wachstums jedoch spricht niemand. Hauptsache, die Wirtschaft wächst – egal wie, so könnte man die Stimmungslage zusammenfassen.

Da ist es doch unheimlich wohltuend, dass immerhin der Leitartikel der aktuellen ZEIT-Ausgabe einen anderen, erfrischend deutlichen Ton anschlägt. Thomas Fischermann weist darauf hin, dass diese Krise auch als Chance dafür begriffen werden kann, sich zu erinnern, „dass es gute und weniger gute Richtungen der wirtschaftlichen Entwicklungen gibt.“ Dieser Hinweis ist angesichts dessen, dass diese Richtungsfrage in der aktuellen öffentlichen Debatte volllkommen marginalisiert wird, mehr als nötig.

Doch der Autor setzt noch eins drauf: Die BIP-Wachstumsrate tauge mitnichten dazu, in der Krise und auch sonst eine Handlungsorientierung zu geben, da sie ein mit immensen Problemen behaftetes haarsträubendes Konstrukt sei. Warum? Das BIP messe alles, „was in einer Volkswirtschaft geschaffen und geleistet wird“. Das Problem: Dies geschieht nur, solange das Geleistete einen Preis hat bzw. solange es sich aktuell und monetär darstellen lässt. „Kindererziehung und Krankenpflege daheim? Sie steigern das BIP kein bisschen. Umweltschäden, die keiner mehr beseitigen kann? Senken das BIP keineswegs. Mehr Freizeit und Selbstverwirklichung für alle? Im Zweifelsfall eher schlecht fürs BIP. Zunehmender sozialer Unfrieden und Kriminalität? Keine Auswirkung. Halt, doch! Wenn ein Hooligan eine Scheibe einwirft, muss der Glaser kommen. Dann wächst das BIP sogar.“ – Was für ein haasträubendes Konstrukt, in der Tat. Die Schizophrenie wird noch deutlicher: „Der Raubbau an den Wäldern, bodenzerstörende Monokulturen, die Zersetzung von Gesellschaften durch Überarbeitung – sie dienen kurzfristig der Steigerung des BIPs und zerstören langfristig die Lebensgrundlagen des Menschen. Dennoch feiern wir Länder, die beim BIP-Wachstum vorn liegen, wie Leistungssportler: Schaut her, China hat die Zehnprozentmarke gerissen!“. Und dennoch „verschreiben wir der Steigerung des BIPs unser Bildungssystem, unsere Forschungsförderung, unsere Infrastruktur.“

Eine Zahl regiert die Welt, welche Ausbeutung fördert, Gemeinwesen zerstört, unseren Planeten zu Grunde richtet. Es wird Zeit, sich dessen gewahr zu werden und nach Orientierungsmaßstäben zu suchen, die soziale und ökologische Nachhaltigkeit belohnen und auf Schadensverursachung basierende Gewinnmaximierung bestrafen. Kurzfristig sei den Akteuren insbesondere in der Politik geraten, gelegentlich einmal innezuhalten und die Ziele, die ihnen als erstrebenswert suggeriert werden, nachhaltig zu hinterfragen.

Der Artikel „Besser wachsen“ von Thomas Fischermann in der ZEIT-Ausgabe 18 vom 23. April 2009 sei allen Leserinnen und Lesern mit Nachdruck ans Herz gelegt.

Krisengeschwafel

Das Politmenü der Woche: Inhaltliche Zeitverschwendung von stereotypem Unterhaltungswert, ganz leicht angewürzt mit sozialdemokratischem Progrämmchen und abgemischt unter nehmerisch aufmontiertem Unionsluftnummernschaum. So oder ähnlich könnte eine kulinarische Verwurstung der in dieser Woche zusammengebrutschelten Beiträge aus der öffentlich-rechtlichen Polittalkkombüse aussehen.

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Ein Monat im Spiegel

Wer angesichts des Titels denkt, hier handele es sich um eine Zusammenfassung der in den vergangenen ca. 30 Tagen in nämlichem Nachrichtenmagazin erschienenen Artikel, irrt. Vielmehr will ich hiermit auf den letzten Monat zumindest kurz reflektierend Rückschau halten. Viel zumeist höchst erfreuliches hat sich nämlich ereignet in dieser Zeit, was hier freilich nicht in aller Ausführlichkeit der geschätzten Leserschaft anheim gegeben werden soll, doch besonders sei natürlich die neuerliche Verlagerung meines Lebens- und v.a. Arbeitsmittelpunktes von der spanischen in die dänische Hauptstadt erwähnt.

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Neue Forschungsergebnisse:

Klimawandel erhöht Ausbreitungspotential von Wildtierepidemien dramatisch

Endlich komme ich nach einer Weile der Blogabstinenz mal wieder dazu, mich hier zumindest in aller Kürze über den aktuellen Stand meines Daseins auszulassen. Seit einem Monat bin ich nun wieder in der dänischen Hauptstadt, wo ich mich freilich vorwiegend der Wissenschaft hingebe. Warum ich allerdings bisher noch nichts geschrieben habe über meinen neuerlichen Aufenthalt in Kopenhagen, offenbart sich in der hiermit den interessierten Lesern gerne anheim gegebenen Pressemitteilung über meine neuesten wissenschaftlichen Aktivitäten. Es war viel Arbeit, aber ich denke, sie hat sich gelohnt – in hier herunterzuladender pdf-Datei finden sich alle weiteren Informationen: PM_Klimawandel_Epidemien.pdf

Es strahlt der Schöpfung großer Klang

“Huch!? Was soll denn das?”, wird sich nun die eine oder der andere aus der geschätzten Leserschaft denken. “Da schicken wir den Vogelwart zum Studieren, um Biologe und ein Schüler Darwins zu werden; da promoviert er in der weiten Welt vor sich hin und über des Klimas Wandel und dessen Auswirkungen auf die Verteilung der Tiere in Raum und Zeit; da ist er Doktorand am Zentrum für Makroökologie und Evolution; und obendrein feiert der Vater aller modernen Biologie, in deren vielfältigem Terrain ja ganz gemäß Theodosius Dobzhanskys Wort nichts Sinn macht ohne eine Betrachtung im Lichte der Evolution, dieser Tage seinen 200. Geburtstag – und was lesen wir da im Blog? Einen Lobgesang auf die Schöpfung!?” Nein, nicht doch. Wer denkt, ich folge dem kreationistischen Irrglauben oder falle den nicht minder irrenden Apologeten des Intelligent Design anheim, der irrt. Die Evolution ist eine Tatsache, und wer dies abstreitet, der hat, bei allem Respekt, den Unterschied zwischen Glaube und wissenschaftlicher Erkenntnis (was zu vereinbaren durchaus gelingen mag!) nicht verstanden. Aber darum soll es hier ja gar nicht gehen. Vielmehr sollen diese Zeilen eine andere Schöpfung besingen, und zwar eine musikalische. Denn im Jahr 1809, in dem Charles Darwin, der spätere Schöpfer einer revolutionären Theorie, im englischen Lande das Licht der Welt erblickte, schied in Wien ein Schöpfer großartiger Musik dahin. Es war Joseph Haydn, der nach reichem musikalischem Schaffen, welches, ganz wie Darwins Werk für die Naturwissenschaften, nachhaltige Wirkung auf nachfolgende Musikergenerationen entfalten sollte, unter anderem im Bereich der Sinfonik, was sich in den viersätzigen Werken von Beethoven über Brahms bis Bruckner widerspiegelt, im Alter von 77 Jahren verstarb. Nun begab es sich, dass hier in Madrid neben all den in Funk, Fernsehen und Feuilleton aufzufindenden Beiträgen zu Darwins Vermächtnis das Sinfonische Orchester und der Chor des RTVE (Radiotelevisión Española) zu Ehren des österreichischen Komponisten – ganz nach dem Motto “Lobet den Herren, alle Haydn”  ein Konzert veranstalteten. Auf dem Programm stand Haydns berühmtes Oratorium “Die Schöpfung”, und da zu allem Überfluss der Konzertsaal lediglich drei Gehminuten von meiner Wohnung beheimatet ist, wohnte ich doch ganz spontan mal jener Aufführung bei. Und was soll ich sagen: Es war ein grandioses Erlebnis – Hellmuth Rillings Dirigat führte die Ensembles und Solisten zu einer Glanzleistung, die ich im Nachhinein nicht werde missen mögen.

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Willkommen, 2009

Nachdem ich nun sowohl in meinen Weihnachtsmails unverbindlich einen neuen Blogeintrag zur Verabschiedung des alten bzw. zur Begrüssung des neuen Jahrs angekündigt habe und ich gar schon von der einen oder anderen Seite ganz explizit um einen solchen Beitrag gebeten wurde, komme ich wohl nicht umhin, hier ein paar Worte aufzuschreiben. Dass ich in diesem Jahr im Allgemeinen und in den letzten Wochen im Besonderen kaum Gelegenheit fand, mich regelmässig über meine durchaus vielfältigen Aktivitäten und Erlebnisse wie auch über die Geschehnisse von öffentlichem Interesse hier angemessen auszulassen, liegt übrigens nicht an mangelnder Schreiblust meinerseits. Vielmehr lässt die Arbeit kaum mehr zu als das, was auf diesen Seiten zu finden ist: Ich befinde mich (ach du liebe Zeit, wie schnell doch dieselbe vergeht!) nun schon in der zweiten Hälfte meiner Promotionszeit, und muss nun tatsächlich etwas ranklotzen, um sowohl den Massstäben des Kopenhagener Universität als auch meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Insofern werden die Beiträge in 2009 wohl auch nur sporadischer und weniger kontinuierlicher Natur sein – leider.

Berufliches

Nun denn, im Grossen und Ganzen bin ich aber – und so will ich beginnen im Rahmen dieses kurzen Rückblicks – recht zufrieden mit dem Fortgang meines Dissertationsprojektes: Die Konzepte für die Kapitel (die als Einzel-Publikationen meine fertige Doktorarbeit ausmachen werden) nehmen in meinem Hirn recht finale Formen an. Der Entwurf für einen der Artikel geht nun, nach der nahezu kompletten Errötung aus der Feder meines Madrider Chefs, in die nächste Revisionsphase, bevor er dann alsbald in den Mühlen des internationalen Publikationsbetriebs verarbeitet (und hoffentlich nicht ganz zerrieben) wird. Die Analysen für die übrigen Studien sind gleichfalls bereits recht weit gediehen, so dass ich mich durchaus auf ein wissenschaftlich-schreibreiches Jahr 2009 freuen darf.

Reiseziele

Nach den tollen Reisen des vergangenen Jahres freue ich mich schon auf weitere Abenteuer im Rahmen unserer Serie "Vogelwart auf Abwegen". Im Ernst: Das Jahr 2008 war hinsichtlich meines Reisepensums tatsächlich ein umfang- und erlebnisreiches. Es reichte von den Bergregenwäldern, Flussdeltas und Badestränden Vietnams bis zu den Wüstenbergen und Kolibris Arizonas. Von den Strassenschluchten New Yorks zu den idyllischen Gässchen von Aarhus in Dänemark. Von der Dresdner Frauenkirche in die Felsen des Elbsandsteingebirges. Von der Leipziger Messe bis in die Urwaldhallen des Kölner Zoos. Von den Klostermauern San Juan de la Peñas in den spanischen Pyrenäen zu den Kathedralen von Salamanca. Von den Mönchsgeiern der Extremadura bis zu den Eisenten der Ostsee. Vom Auftritt des Landesjugendchores Rheinland-Pfalz beim Lucerne-Festivals in der Schweiz über Choronal-Konzerte in Niederfischbach, Altenkirchen und Mannheim bis hin zum Opern-Traumerlebnis "Tristan und Isolde" in der Berliner Staatsoper Unter den Linden mit Daniel Barenboim am Pult. Von meiner Einweihungsparty in Madrid über unser 10jähriges Abi-Revival bis hin zur Feier des siebzigsten Geburtstag meines Vaters und seines Zwillingsbruders im heimatlichen Westerwald (bzw. Siegerland)…

Mehr könnte hier erwähnt werden, doch bei der Auflistung aller meiner Reiseziele und Erlebnisse wird mir selbst schon schwindelig – so denke ich dankbar zurück und danke allen, die mir diese Reisen, in welcher Hinsicht auch immer, ermöglichten und sie mir zu unvergesslichen Erinnerungen haben werden lassen. Und in der Tat startet 2009 reisereich: Kaum von Ostseestrand und Lübecker Holstentor wieder in Madrid eingetrudelt, starte ich schon wieder durch: Morgen bereits trägt mich (hoffentlich!) ein Flugzeug gen Mexico, wo vom 8. bis 12. Januar in Merida die Konferenz der International Biogeography Society stattfindet. Und wenn man schonmal da ist, kann man ja auch noch zwei Wochen Urlaub dranhängen, und so bin ich gespannt auf die Yucatan-Halbinsel mit ihren Maya-Ruinen und Karibikstränden, sowie auf das Vogelleben der Regenwälder von Belize. Weitere (zum Teil noch nicht feststehende, aber angepeilte oder erhoffte) Reiseziele des Neuen Jahres werden u.a. Potsdam, Göttingen, Bayreuth, Brisbane, Prag und hoffentlich Helgoland sein. Es bleibt also spannend! Ein Hauptreiseziel wird allerdings Ende Februar bzw. Anfang März zunächst einmal wieder die dänische Hauptstadt werden: Meine Zelte in Madrid werde ich dann wieder abbaün und dieselben in Kopenhagen für etwa ein Jahr wieder aufschlagen. Die Umzugsbelastung selbst ist freilich kaum ein Ereignis zur freudigen Erwartung, doch freue ich mich umso mehr wieder auf Dänemark!

Gesellschaftliches

Fehlt noch ein kurzer Blick auf die Ereignisse in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft des vergangenen Jahres, doch will ich mich angesichts der allenthalben dargebotenen "Rückblicke" in Funk, Fernsehen und Feuilleton kurz fassen. Ein brillanter Aufsatz aus der Feder von Thomas Assheuer über die Themen, die aus der jüngsten Vergangenheit bleiben und m.E. die Debatten der näheren Zukunft bestimmen werden, ist unter dem Titel "Alltag in der Krise – Die Welt ist aus den Fugen, aber wir trinken Glühwein. Wie geht das zusammen? Eine Inspektion unseres Epochengefühls" in der ZEIT-Ausgabe Nr. 52 vom 17.12.2008 nachzulesen.

Darüber hinaus will ich – mich in einen optimistischen Ductus zwängend – drei Wünsche äussern, die auf Basis des Vergangenen in das vor uns liegende Jahr (und vielleicht darüber hinaus) weisen:

Erstens: Viel Glück und Erfolg, Barack Obama. Amerika und die Welt schauen, warten und hoffen auf Sie, und ich wünsche Ihnen (gewissermassen im Sinne des globalen Gemeinwesens), dass Sie weniger allen kurzfristig gerecht zu werden versuchen, sondern dass Sie besonnen in grossen Linien und weiten Zeiträumen denken, für mehr auf Vernunft und Verantwortung basierende(n) Besonnenheit, Mut und Nachhaltigkeit im Handeln. Dies sei übrigens nicht nur dem neuen amerikanischen Präsidenten, sondern allen, die in Wirtschaft, Gesellschaft, Kirche und Politik Verantwortung tragen, gewünscht.

Zweitens, an die hessische SPD: Macht alles besser! So viel, wie bei Euch schieflief 2008, wird sicher nicht mehr in die Binsen gehen im Neuen Jahr, und so hoffe ich, dass Ihr bei der anstehenden Wahl ein gutes Ergebnis hinlegen werdet.

Drittens: Herzlichen Glückwunsch, Helmut Schmidt. Ich gratuliere Ihnen nachträglich zu Ihrem 90. Geburtstag und hoffe, bei allem Widerspruch, den ich an einzelnen Ihrer Statements zum aktuellen Geschehen habe, dass Sie Deutschland und der Welt als wissender und kluger Ratgeber noch lange erhalten bleiben.

Ein persönliches Wort zum Schluss: Ich danke allen, die mir im vergangenen Jahr hier lesenderweise die Treue gehalten habe und wünsche allen Leserinnen und Lesern ein glückliches, spannendes, frohes, erfolgreiches und gesegnetes Neues Jahr 2009!

Ihr und Euer Vogelwart

Congratulations, World!

Nun ist er also gewählt, der neue amerikanische Präsident. Ich gratuliere Barack Obama zu diesem Erfolg, doch mit ihm vor allem den Vereinigten Staaten von Amerika sowie letztlich der ganzen Welt, dass die unsägliche Bush-Präsidentschaft mit all ihren verkorksten außen- wie innenpolitischen (Re-)Aktionen am 20. Januar, wenn Obama vereidigt wird, ein Ende haben wird.

Zu hoffen ist indes, dass der neue Präsident den immensen Herausforderungen, deren Bewältigung auf ihn warten, gerecht werden wird. Denn in sehr vielen Bereichen ist es nun Zeit (bzw. eigentlich schon zu spät), mit Tatkraft, Vernunft und Weitblick zu handeln. Drei der Handlungsfelder, in denen die neue US-Administration schnellstens zur Tat schreiten muss, will ich nennen:

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Ein Festival des Konjunktivs…

– ein Desaster für Hessen

Müsste, hätte, würde, könnte, dürfte, wäre – das sind die konjunktivischen Hilfsverben, die im Zeitalter der Kursturbulenzen Konjunktur haben. Doch um mal mit meinem langsam verblassenden, jedoch noch nicht verblassten (man beachte den feinen Unterschied zwischen den Partizipien des Präsens Aktiv und des Perfekt Passiv!) lateinischen Wissen aufzutrumpfen: Konjunktur kommt von conjungere (zusammenfügen), und die vielen mit Umlauten versehenen Verben beschreiben, wenn man ins Polittheater nach Hessen schaut, mitnichten eine Zusammenfügung von was auch immer – seien es Vernunft, Anstand, Begabung, Besonnenheit oder Verantwortung. Worum geht es? Übernacht hat sich zu einer singulären Gewissensträgerin in der SPD-Landtagsfraktion in Wiesbaden eine Troika von Abweichlern gesellt, die urplötzlich, nach unzähligen Sitzungen, Vorabstimmungen, Beratungen, Vieraugengesprächen, Regionalkonferenzen und nach einer 95prozentigen Parteitagsmehrheit angesichts einer drohenden morgigen Wahlkabine von der Unterstützung für einen Politikwechsel in Hessen abgefallen sind, um gewissermaßen ihrem Gewissen zu folgen. (Das hämische Grinsen gewisser nichtsdestoweniger geschätzter Kolleginnen in der Heimat sehe ich bis nach Madrid strahlen.) Trotzdem: Radikal provokativ und im konjunktivistischen ductus formuliert: Wäre diese Quadriga der Vernunft gefolgt und hätte sie ihre Profilneurosen zu Hause gelassen, hätte morgen in Hessen eine neue politische Zeit anbrechen können – für eine bessere Bildungspolitik, für mehr soziale Gerechtigkeit, für eine nachhaltige Energiepolitik und, und, und. Stattdessen bleibt Roland Koch nun wahrscheinlich im Amt. Ich muss mich beherrschen, dies ausführlicher zu kommentieren…

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Nun amtlich: Soziale Selektion durch Studiengebühren

Endlich hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) "freigegeben" (die Unterverschlusshaltung des Werks thematisierte ich bereits). Jedem und jeder an Hochschul-, Bildungs- und Sozialpolitik Interessierten sei mindestens die Zusammenfassung der offenbar außerordentlich fundierten und emotionsfreien wie statistisch untermauerten Untersuchung ans Herz gelegt. Ausdrücklich zu betonen ist, dass es sich um eine repräsentative Studie handelt, was letztendlich bedeutet, dass die Ergebnisse für alle Studienanfänger des Jahrgangs 2006/2007 Aussagekraft besitzen. Drei Zitate aus der Zusammenfassung der HIS-Studie seien hier angeführt, bevor ich mich einem Kommentar zum Kommentar eines geschätzten Marburger Kollegen zu meinem letzten Beitrag widme.

  • Zitat Nr. 1: "Durch die Einführung von Studiengebühren verzichtet eine nennenswerte Zahl von Studienberechtigten auf das ursprünglich beabsichtigte Studium (Jahrgang 2006: zwischen 6.000 und 18.000). Insbesondere Frauen und Studienberechtigte aus hochschulfernen Elternhäusern entscheidensich aufgrund von Studiengebühren gegen ein Studium." (S. 1)
  • Zitat Nr. 2: "Finanzielle Restriktionen bilden eine zentrale Motivgruppe unter den Gründen, die von der Aufnahme eines Studiums abhalten." (S. 2)
  • Zitat Nr. 3: "Studienberechtigte, von denen mindestens ein Elternteil ein Universitätsstudium abgeschlossen hat, lassen sich von Studiengebühren deutlich seltener in ihrer Hochschulwahl beeinflussen als Studienberechtigte anderer sozialer Herkunftsgruppen." (S. 2)

Allein diese drei zusammenfassenden Aussagen sind ein schwarz auf weiß dokumentiertes Desaster für die
Politik des BMBF, der Ministerin und vieler ihrer schwarzen und gelben Kollegen
in den Ländern. Und freilich erwähnt  die Pressemitteilung des Ministeriums die nun belegte sozialselektive Wirkung der Gebühren natürlich in keiner Weise – der Titel der Pressemitteilung "Studierende erwarten Qualität fürs Geld" entbehrt nicht einer gewissen Armseligkeit. Der Bewertung jenes Pressetextes einer gleichfalls geschätzten Kollegin aus meinen aktiven hochschulpolitischen Zeiten, "Man kann sich auch alles schönreden", ist nichts hinzuzufügen.

Die HIS-Studie "Studiengebühren aus der Sicht von Studienberechtigten. – Finanzierung und Auswirkungen auf Studienpläne und -strategien" kann HIER in vollem Umfang heruntergeladen und nachgelesen werden.

Und nun zum Kommentar zum Kommentar:

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